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003 - Im Kabinett des Grauens

003 - Im Kabinett des Grauens

Titel: 003 - Im Kabinett des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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beleuchten.
    Der
Gerichtsmediziner ging unruhig zwischen den Grabreihen auf und ab, sich mit
Armen und Beinen Bewegung verschaffend. Es war kalt, beinahe zu kalt für diese
Jahreszeit. Im nassen, dunklen Boden bildete sich ein schmales, längliches
Rechteck, genauso breit wie ein Sarg.
    Der
eine der Totengräber, mit einem blassen Gesicht, griff mit seinen klobigen
Händen nach der Windlampe und hielt sie über das geöffnete Grab, während seine
beiden Kollegen ihre Arbeit unvermindert fortsetzten und eine Schaufel nach der
anderen mit dunkler Erde füllten. Sie hatten jetzt eine Tiefe erreicht, in der
man auf die langen, verrosteten Nägel und die breiten Scharniere, die den Sarg
zusammengehalten hatten, stoßen musste. Allzu viel würde man von dem Sarg und
von Derry Cromfield sowieso nicht mehr finden. In zwanzig Jahren war der
natürliche Prozess schon so weit fortgeschritten, dass man höchstens auf die
eisernen Teile des Sarges stieß – und auf die bleichen Knochen Derry
Cromfields.
    Sir
Harold Perkins löste sich von dem Grabstein und näherte sich der geöffneten
Grube. Auch der Friedhofsdirektor und der Gerichtsmediziner traten vor. Sie
starrten in die Gruft. Die Totengräber fanden zwei Scharniere, vier lange
Sargnägel – keine Knochen. Perkins schluckte.
    »Das
Grab ist leer, nicht wahr, es ist leer?« kam es heiser über die Lippen des
greisen Mannes. Ein lautloses, unheimliches Lachen schüttelte seinen Körper.
»Er hat niemals in seinem Sarg gelegen! Aber das ist merkwürdig, sehr
merkwürdig«, fügte er plötzlich wispernd hinzu, und es schien, als müsse er
jeden Augenblick den Verstand verlieren. »Die Männer, die Cromfield in den
letzten Tagen gesehen haben, beschrieben ihn so, wie er vor zwanzig Jahren
aussah. Wie vor zwanzig Jahren! Wenn Cromfield aber vor zwanzig Jahren aus
diesem Grab entkommen konnte – warum ist er nicht älter geworden, wie wir alle
es geworden sind?«
    Die
Umstehenden hielten den Atem an. Der Gerichtsmediziner griff sich unwillkürlich
an seinen Kragen, als würde ihn plötzlich der oberste Hemdenknopf drücken.
    In
das Säuseln des Windes und das leise Geräusch des Nieselregens klangen
plötzlich dumpfe, schmatzende Schritte vom Weg hinter den Grabsteinen. Und dann
die Stimme, eine heisere, gefährliche Stimme, die drohend durch den wirbelnden
Nebel kam. »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die unser kleiner
Menschenverstand nicht fassen kann, Sir«, tönte es spöttisch durch die
Finsternis.
    Derry
Cromfields Stimme!
    Harold
Perkins wandte den Kopf, als würde der Druck eisiger Finger ihn dazu zwingen.
Er sah den Mann zwischen zwei Grabsteinen stehen, den er vor zwanzig Jahren in
dieser Kleidung eigenhändig hingerichtet hatte! Wie ein Geist stand Cromfield
da, vom Licht der Windlampe gespenstisch beleuchtet. »Ich habe gewusst, dass
Sie kommen würden, ich habe auf Sie gewartet, Perkins«, fuhr Derry Cromfield
eiskalt fort. »Sie sollten sehen, dass ich zurückgekommen bin! Doch Sie
brauchen keine Angst zu haben. Ihnen wird zunächst nichts geschehen. Ich will
Sie noch ein bisschen warten lassen, ein bisschen quälen, Perkins! Damit Sie
aber merken, dass ich es ernst meine: Colin schmort bereits in der Hölle.
Während Sie hier gruben, habe ich meine Mission im Krankenhaus erfüllt und das
vollendet, was schon längst hätte erledigt werden sollen.«
    »Nein!«
Harold Perkins war kreidebleich. Wie bei einer Marionette kamen seine Arme in
die Höhe, als müsse er eine Gefahr abwenden. Er machte einen verzweifelten,
hilflosen Eindruck. Und nicht nur er stand im Bann des Geschehens ... Seine
fünf Begleiter schienen zu Salzsäulen erstarrt.
    »Es
ist die Wahrheit, Perkins!« fuhr Derry Cromfield fort. »Rufen Sie an! Dann
erfahren Sie Näheres. Ich hatte Sie gewarnt, damals vor zwanzig Jahren. Ich
werde Sie quälen bis zu Ihrer letzten Stunde! Sie sollen Ihres Lebens nicht
mehr froh werden, Perkins! Sie sollen ständig in Angst und Unsicherheit
schweben, Sie sollen erleben, wie es ist, wenn die Menschen sterben, die man
liebt. Und ganz zum Schluss erst werden Sie drankommen! Ich hebe Sie bis
zuletzt auf, damit ich meine Rache voll auskosten kann.«
    Wer
dies sprach, konnte kein Mensch sein. Die Worte verhallten schaurig wie auf dem
Hof der Richtstätte, in den sich Perkins zurückversetzt glaubte. So war es
damals gewesen, als Derry Cromfield in die Grube stürzte, als sich das
Henkersseil straffte und ihm das Genick brach.
    Die
gleiche Stimmung, die gleiche

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