003 - Im Kabinett des Grauens
Angst erfüllten den ehemaligen Henker, dessen
Leben zu einem Alptraum geworden war.
Cromfields
Worte verhallten in der wabernden Nebelwand wie ein Echo. Und sie klangen den
Männern noch immer in den Ohren, als der Spuk schon längst vorbei war und die
Gestalt vor ihnen verschwand, als wenn eine unsichtbare Gruft sie aufgenommen
habe.
●
Harold
Perkins löste sich aus der Erstarrung, die ihn gefangen hielt. »Tut etwas!«
schrie er. »Lasst ihn nicht wieder entkommen!«
Zwei
Totengräber reagierten sofort. Mit ihren Schippen verschwanden sie in Nacht und
Nebel und suchten die Stelle ab, wo die unheimliche, unbegreifliche Erscheinung
noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatte. Auch der andere Totengräber und
der Friedhofsdirektor hielten es jetzt für angebracht, etwas zu unternehmen.
Der
Gerichtsmediziner blieb bei Harold Perkins, der nicht in der Lage war, an der
Suche teilzunehmen. Das nächtliche, unheimliche Erlebnis hatte dem alten Mann
zugesetzt.
»Beruhigen
Sie sich, Sir.«, sagte Dr. Bradley mit leiser, tröstender Stimme. Perkins
musste sich an einem mannshohen Grabstein abstützen. »Nehmen Sie sich die Sache
auf keinen Fall zu Herzen. Das Ganze ist ein Scherz.«
»Scherz?«
fragte Perkins dumpf, und seine Augen glühten wie im Fieber. »Sie wissen nicht,
was Sie da sagen, Doktor. Wir finden ein leeres Grab vor. Ist das ein Scherz?
Wir begegnen dem Mann, der eigentlich in diesem Grab liegen müsste. Nein, das
ist kein Scherz ...«
Perkins
redete immer schneller. Seine Lippen zitterten, er atmete schwer. Bradley
fürchtete, er würde einen Kreislaufkollaps erleiden, so sehr hatte er sich
erregt. Der alte Henker musste sich in Ermangelung einer besseren
Sitzgelegenheit auf dem Sockel des Grabsteins niederlassen.
Auch
damit war Bradley nicht einverstanden. »Versuchen Sie zu stehen, Sir«,
flüsterte er. Die Umgebung verführte förmlich dazu, kein lautes Wort zu
sprechen. »Der Stein ist kalt und nass. Sie werden sich erkälten.«
»Nur
einen Moment«, sagte Perkins schwach und schloss die Augen.
Zum
Glück kam in dieser Minute der erste Suchtrupp zurück.
An
der Spitze ging der Friedhofsdirektor. »Es ist sinnlos«, sagte er, kaum dass er
auf Sichtweite heran war. »Bei diesem Wetter und der Dunkelheit finden wir
nichts.«
Die
Männer eilten heran, als sie bemerkten, dass es Harold Perkins nicht gutging.
Gemeinsam
mit der Hilfe des Friedhofsdirektors gelang es, den alten Herrn wieder auf die
Beine zu bekommen. Zwei Männer stützten ihn, er war so schwach, dass er kaum
einen Schritt allein machen konnte.
»Ich
fahr' ihn nach Hause, Aldis«, sagte Dr. Bradley. Das Haus des
Friedhofsdirektors lag nur wenige Schritte von dem abseits gelegenen Friedhof
entfernt. Aldis Franker, der Direktor, war zu Fuß gekommen.
Franker
schloss persönlich das knirschende, eiserne Tor ab. Das Geräusch der sich
entfernenden Wagen erfüllte noch kurze Zeit die feuchte Luft, dann herrschte
Stille. Nur die Schritte von Franker hallten durch das regnerische Dunkel,
Schritte, die immer schneller wurden. Der Friedhofsdirektor strebte seinem Haus
zu. Es war ihm nicht ganz geheuer zumute ...
●
Aldis
Franker war froh, als er seine Wohnungstür hinter sich schließen konnte. Er
atmete tief durch und legte den nassen Regenmantel ab, fuhr sich durch das
schüttere Haar und ging dann händereibend in das kleine Arbeitszimmer, wo er im
Barschrank noch ein paar wohlgefüllte Flaschen stehen hatte. Er griff nach
einem Gin, goss sich ein Glas halbvoll und trank mit Genuss.
Kopfschüttelnd
nahm er an dem Schreibtisch Platz, balancierte die Flasche in der einen, das
leere Glas in der anderen Hand und schenkte sich nochmals ein.
Er
leerte das Glas in einem Zug. Atmete dann tief durch. »Das tut gut«, sagte er
leise vor sich hin. Es gab niemand außer ihm im Haus. Franker hatte nie in
seinem Leben geheiratet. Das Fünfzimmerhaus war viel zu groß für den
alleinstehenden Mann, doch laut Vertrag hatte er als Friedhofsdirektor Anspruch
darauf. Wohnung und Büroräume sollten zusammenliegen.
Trotz
seiner Abgeschiedenheit fühlte sich Aldis Franker nicht einsam. Er empfing oft
Besuch, das brachte schon sein Beruf mit sich, spazierte fast jeden Abend zu
dem etwa eine Meile entfernten Pub und trank dort einige Gläser Bier. Außerdem
las er viel. Er war der Überzeugung, dass man nicht viel zu reden brauchte.
Bücher waren die besten Freunde. Man holte sich die ganze Welt in ihrer
Vielfalt und Farbigkeit damit
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