0033 - Der Pfähler
ich aus den Gesprächen herausgehört – eine Frau ausrauben. Eine alte Frau, die sich nicht wehren konnte.
Mir kam die Galle hoch. Ich kochte förmlich, denn immer wenn ich Unrecht witterte, packte mich die heiße Wut.
Soho nahm uns auf. Es war ein ziemlich milder Abend, und in Londons Vergnügungsstadtteil war einiges los. Nachtbars, Pornoschuppen, Sexläden – sie überboten sich mit marktschreiender Reklame. Zusätzlich versuchten noch Portiers in Operettenuniform Gäste in das Lokal zu locken, manchmal mit ziemlich eindeutigen Sprüchen.
Die Ganoven gingen überall vorbei.
Mir war das sehr recht.
Und dann sah ich sie auf einmal nicht mehr. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden.
In Frage kam nur die nächste nach links führende Straße. Ich drückte mich um die Ecke. Auch hier herrschte Betrieb, aber es war wesentlich ruhiger als zuvor.
Die Männer gingen jetzt schneller. Durch ein Gewirr von kleinen Straßen und Gassen folgte ich ihnen, bis zu einer schmalen Einfahrt zwischen zwei Häusern.
Die Umgebung hatte sich drastisch geändert. Hier war das Soho der kleinen Bürger. Wer hier wohnte, zahlte wenig Miete. Die Häuser sahen alt und manchmal auch verkommen aus. Nichts war mehr von dem Glanz der Vergnügungsfassaden zu sehen. Hin und wieder brannte eine einsame Laterne, das war auch alles.
Und im Schein einer dieser Gaslaternen sah ich die beiden Männer in der Einfahrt verschwinden.
Sie mußten ihr Ziel erreicht haben.
Für mich wurde es kritisch. Ich mußte nun noch vorsichtiger sein. Die geringste verdächtige Bewegung, und es war aus. Schließlich wollte ich derjenige sein, der die beiden überraschte und nicht umgekehrt.
Ich ließ einige Zeit verstreichen und huschte auf die Einfahrt zu. Niemand sah mich, als ich in die schmale Gasse eintauchte. Hier war es finster wie in einer Bärenhöhle. Erst langsam stellten sich meine Augen um.
Ich machte Umrisse aus, sah hinter der Einfahrt, im schwachen Lichtschimmer einer Lampe, einen Hinterhof.
Eigentlich sollte sie den Seiteneingang des Hauses beleuchten. Ihre Helligkeit reichte aber nicht einmal aus, um die Steinstufen der schmalen Treppe zu beleuchten. Das Licht versickerte irgendwo zwischen dem Boden und dem oberen Rand der Haustür.
Die Tür stand offen. Der Spalt war so groß wie eine Handspanne. Plötzlich zuckte ich zusammen. Etwas war an meinem Bein vorbeigestrichen. Im nächsten Moment miaute es, und ich lächelte befreit. Nur eine Katze, das war alles.
Ich schlüpfte in den Hausflur. Etwas mulmig war mir doch zumute, als ich das dunkle Loch betrat, denn das, was ich hier erlebte, war ernst. Es spielte sich nicht auf der Polizeischule ab, wo ich solche Einsätze bald des öfteren üben würde.
Nun erlebte ich es schon in der Praxis.
Das Licht einzuschalten, war mir zu riskant. Ich ging auf Zehenspitzen weiter, streckte den linken Arm zur Seite und fühlte unter meinen Fingern den rauhen Stein der Flurwand.
Dann hörte ich Stimmen.
Ich blieb stehen, konzentrierte mich auf die Geräusche irgendwo über mir und erkannte die Organe der beiden Ganoven wieder. Leider bekam ich nicht heraus, in welcher Etage sie sich aufhielten. Da war ich schon auf meinen eigenen Spürsinn angewiesen.
Schritt für Schritt tastete ich mich vor, während meine Finger immer an der Wand entlangrutschten. Dann fühlte ich eine Nische, deren Rückwand eine Wohnungstür begrenzte.
Im Haus war es ruhig. Ich hatte angenommen, wenigstens Stimmen oder Musik hinter den Türen zu hören, aber das war nicht der Fall. Später erfuhr ich, daß das Haus zum Abbruch vorgesehen war und nur noch zwei Mieter darin wohnten.
Sehr schwach nur nahm ich die Umrisse einer Treppe wahr. Ich tastete nach dem Geländer, fand es und wischte mit meiner Handfläche den letzten Lack vom gedrechselten Holz.
Am Rand der Stufen schlich ich hoch, erreichte den ersten Absatz und ging weiter.
Plötzlich vernahm ich eine Etage höher das Knarren einer Tür. Dann einen erstickten Schrei, danach ein Poltern, und noch im gleichen Atemzug flog die Tür wieder zu.
Die Kerle waren in die Wohnung des Opfers eingedrungen. Ich hatte es geahnt.
Große Rücksichten konnte ich nun nicht mehr nehmen. Ich polterte die nächste Treppe hoch, fiel prompt einmal hin und stieß mir unangenehm hart den linken Ellbogen.
Dann aber hatte ich mein Ziel erreicht.
Hastig knipste ich das Feuerzeug an. Im tanzenden Schein der Gaslampe erkannte ich eine Tür. Ich senkte die Hand mit dem Feuerzeug und betrachtete
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