0035 - Draculas Erbe
genoss den Anblick dieses winzigen Zentimeters über dem Knie sekundenlang.
Zamorra sah ihm belustigt zu.
Der Beamte machte den Eindruck, als überlege er, ob er den nächsten Urlaub nicht endlich einmal in Paris verbringen sollte.
Dann wurde die Atmosphäre jedoch gleich wieder sachlich.
Es war kurz nach dreizehn Uhr, als der Dienstwagen mit Zamorra, Nicole Duval und den Bukarester Beamten das Flugfeld verließ.
Auf der Fahrt nach Bistritz war genügend Zeit vorhanden, um Zamorra über alle bisher bekannten Details des teuflischen Anschlags auf die Familie Kostük aufzuklären.
Er erfuhr, was es mit dem Verschwinden des Bjumo-Sees auf sich hatte. Er erfuhr jede Einzelheit über das Sprengen des Drugaberges.
»Ein Racheakt?«, fragte er. »Sie haben erwähnt, Kommissar, dass es sich um eine türkische Familie handelt?«
»Ja, Herr Professor«, sagte der Rumäne. »Aber das ist nur eine Vermutung unsererseits. Wir hoffen, dass Sie mit Ihren Fähigkeiten uns weiterhelfen werden. Denn wir sind uns ziemlich sicher, dass wir mit unseren normalen Mitteln in diesem Fall nicht vorankommen werden.«
»Hoffen wir das Beste«, meinte Zamorra.
Dann schien er plötzlich ganz in Gedanken versunken.
Die Beamten wussten nicht, was es damit auf sich hatte. Sie ahnten nur, dass der Professor nach gewissen Zusammenhängen suchte, Spuren aufzudecken begann, die sie nicht erkennen konnten.
Sie hüteten sich, sein Schweigen zu brechen.
Nur Nicole Duval wusste, was in Zamorra vorging.
Er versuchte, eine Verbindung herzustellen, von der sie selbst auch noch nichts ahnte. Sie sah, wie Zamorra eine Stunde lang seine Hand auf das Amulett gepresst hielt, das unter seinem Hemd verborgen war.
Wie präzise seine Gedankengänge waren, wie weit er vor seinem geistigen Auge alle nur möglichen Spuren zurückverfolgte, bewies seine nächste Frage.
»Sagen Sie, bitte, Kommissar«, begann er. »Der erste Überfall der Türken auf dieses Land geht doch bis ins fünfzehnte Jahrhundert zurück, nicht wahr?«
»Sehr richtig, Professor. Wenn mich meine Schulkenntnisse nicht verlassen haben, waren die ersten Einfälle dieser türkischen Kriegshorden in den Jahren 1421 und 1423.«
»Und wie lange haben sie ihre Herrschaft halten können?«, wollte Zamorra wissen.
»Fast dreihundert Jahre lang. Sie haben alle Aufstände der Ungarn und Rumänen niedergeschlagen. Darunter einen sehr blutigen Bauernaufstand im Jahre 1514.«
»Und wann sind sie endgültig vertrieben worden?«, fragte der Professor weiter.
»Das war im Jahre 1699.«
»Also heute vor rund dreihundert Jahren. Das ist keine zu lange Zeit für einen Dämon, der sich als Rächer aufspielen will.«
»Wie bitte?«, fragten die beiden Beamten wie aus einem Munde.
Der Fahrer des Wagens wendete dabei abrupt seinen Kopf und sah Zamorra verständnislos an.
»Sieh lieber nach vorn«, mahnte ihn sein Kollege, der neben ihm saß. »Sonst musst du dem Staat eine Luxuslimousine ersetzen.«
Der andere grinste und lenkte seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Straßenverkehr.
Zamorra erklärte, was seine Worte zu bedeuten hatten.
»Meine Herren«, begann er. »Ich will Ihnen keinen Vortrag halten. Aber dass es sich im Falle der Druga, im Falle des Bjumo-Sees und der damit verbundenen Leidensgeschichte der Familie Kostük um einen Akt von Dämonie handelt, wusste ich im gleichen Augenblick, als ich davon erfuhr. Kommissar Petescus Telegramm konnte mich natürlich nicht eingehend aufklären. Aber Ihre Erläuterungen haben mir die letzte Gewissheit gebracht.«
»Und wieso?«, fragte der Fahrer. Diesmal, ohne sich umzudrehen.
»Sagen wir einfach: Ich habe genügend Erfahrung sammeln können«, meinte Zamorra bescheiden. »Wenn es sich um einen Racheakt handelt, wird man in normalen Fällen ein Opfer und einen Mörder finden. Aber ein halbes Bergmassiv zu sprengen, um eine Naturkatastrophe vorzutäuschen, ist viel zu genial. Das kann keinem Menschen einfallen. Eine solche Idee ist von einem Teufel erfunden. Und von einem Teufel in die Tat umgesetzt.«
»Da haben Sie Recht, Professor«, sagte der Beifahrer. »Aber wie kommen Sie auf die Türkeneinfälle?«
»Es war nur so eine Idee«, meinte Zamorra. »Wir wissen von Dä- monen, dass sie ihre Rache genau planen. Oft über Jahrhunderte hinweg. Ich bin ziemlich sicher, dass ich den Grund erfahren werde. Ich werde herausfinden, warum die Familie Kostük ihr Leben lassen musste.«
»Und wie wollen Sie das anfangen?«, fragte der
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