0036 - Das Rätsel von Schloß Montagne
zwingen. Wir können auch wieder hinaufgehen.«
»Ich…«, ächzte Hämmerli, »finde es wundervoll, daß Sie mich hier herumführen. So etwas erlebe ich doch nie mehr wieder.«
Zamorra lachte. »Wie einer, der eine große Freude erlebt, wirken Sie aber nicht, Herr Hämmerli.«
Er beobachtete, wie Hämmerli mühsam schluckte, das Gesicht verzerrte, aber stur neben ihm herschritt.
Von neuem packte Zamorra das Mißtrauen.
Er hatte doch den Bann mit seinem Amulett gebrochen. Franz Hämmerli war doch jetzt ein völlig normaler Mensch mit eigenem Willen. Er befand sich nicht mehr in der Gewalt der Dämonen.
Doch der Professor beschloß, wachsam zu sein.
»Ich zeige Ihnen jetzt die Folterkammer«, bemerkte er und stieß eine Tür auf. »Hier haben wirklich echte Folterungen stattgefunden, Herr Hämmerli. Die letzte vor gar nicht langer Zeit…« Zamorra brach ab. Er mußte an seinen unglücklichen Onkel Louis de Montagne denken.
Franz Hämmerlis Augen zuckten auf. »Sehr interessant. Darf ich hineingehen?«
»Natürlich. Sehen Sie sich alles an.«
Das erste Mal in seinem zweiunddreißigjährigen Leben betrat Hämmerli eine Folterkammer.
Er vermeinte, das Blut der Gequälten zu riechen. Modrige Kälte kroch auf ihn zu. Da stand eine Holzpritsche, seitlich mit Lederriemen bestückt. Hier wurden also die Unglücklichen einst festgeschnallt, damit sie sich nicht wehren konnten.
Sein Blick tastete sich zu der Winde hinüber, auf die ein Seil gerollt war.
Wie viele Schreie waren wohl an diesen Wänden, von denen dünne Rinnsale liefen, abgeprallt?
Zamorra stand an der Tür und sah sich um.
»Sie werden verstehen, Herr Hämmerli, daß ich hier nichts ändern möchte. So grausam die Erinnerungen an diesen Raum auch sein mögen, er ist ein Stück Geschichte. Ein Stück furchtbare Geschichte, doch auch das gehört zur historischen Vergangenheit eines Schlosses.«
»Ja, natürlich!« bestätigte Franz Hämmerli atemlos.
Er entfernte sich immer mehr von Zamorra und stand nun vor einem seltsamen Gerät mit riesigen Holzschrauben.
»Wer in so einen Kasten kam, war verloren«, hörte er Zamorra von der Tür her sagen.
»Entsetzlich«, flüsterte Hämmerli.
Neben ihm zitierte eine Stimme.
»Zaubern kann er nicht. Lock’ ihn in den dritten Raum rechts am Gang. Du mußt ihn einsperren. Das Amulett kriegen wir erst, wenn er zum Skelett abgemagert ist, deswegen mußt du ihn einsperren. Wir mauern dann die Tür zu… wie einst sein Urahn es mit uns gemacht hat …«
Das Geraune rings um Hämmerli nahm zu, drohte ihm den Atem abzuschnüren.
»Ich hatte einen Urahnen«, sagte Zamorra bedächtig. »Er wurde ›Leonardo der Schreckliche‹, genannt. Er bekam das Amulett, das ich um den Hals trage, von einem Kalifen. Leonardo hat entsetzlich gewütet! Er war so grausam, daß ich mich heute noch, nach mehr als achthundert Jahren, seiner schäme.«
Warum hört er diese Stimmen nicht? durchfuhr es Hämmerli. Ist er taub? Er muß doch jedes Wort mitkriegen.
»Ich will Ihnen«, sprach Zamorra leichthin, »nur ein Beispiel seiner Brutalität nennen, Herr Hämmerli. Eines Tages kamen vierzig Bettelmönche und klopften an die Tür dieses Schlosses. Sie befanden sich auf dem Weg zu ihrem Orden im gelobten Land, wohin sie ihren einzigen Besitz, einen goldenen Schrein, bringen wollten. Sie waren hungrig, und Leonardo lud sie ein. Er wußte, was sie unter den Tüchern versteckt hielten. Statt ihnen Essen anzubieten, ließ er sie in ein Verließ werfen und foltern, nahm ihnen den Schrein weg und befahl seinen Leuten, sie einzumauern. Können Sie mir folgen?«
»Ja, Professor«, keuchte Hämmerli. Er schwankte auf und ab.
»Aber gestern, als die Bauarbeiten drüben im Südflügel des Kellers anfingen, wurde eine dieser Mauern aufgebrochen. Einen der Bauarbeiter hat es das Leben gekostet. Auf einmal waren die Seelen dieser Mönche, deren Geist längst von Dämonen beherrscht wurde, frei. Sie drangen heraus. Sie kannten nur ein Ziel: Rache!«
Franz Hämmerli kam langsam auf Zamorra zu. »Lassen Sie uns hier fortgehen«, schlug er vor. »Ich weiß genau, daß es keine Folterungen mehr gibt, und doch ist mir nicht ganz geheuer in diesem Raum.«
»Das glaube ich Ihnen gern«, murmelte Zamorra. »Wollen Sie noch mehr von diesen Kellern sehen?«
»Ja, Professor. Nur noch diesen Gang entlang.« Hämmerli zwang sich zu einem Lächeln.
Wie hatte die Stimme gesagt?
»Lock ihn in den dritten Raum rechts am Gang…«
Hämmerli schlenderte
Weitere Kostenlose Bücher