0052 - Der Teufelsring
wiederzukehren.«
»Was hältst du von diesen alten Religionen, Chef?«
»Dass sie alle einen Kern Wahrheit bergen, Nicole. Zoroaster hat sieben Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung im fernen Indien keine Hirngespinste gehabt. Er hat Dämonen gesehen, und du weißt inzwischen, dass es gute und böse Geister gibt. Nimm den Gott des Christentums und seinen Teufel. Nimm Allah und den Scheitan. Nimm jede Religion dieser Erde. Ihre ganze Theologie befasst sich mit dem Widerspruch des Bösen mit dem Guten. Bei den Parsen ist das nicht anders.«
»Und Ormuzd war ein guter Dämon?«
Professor Zamorra deutete zu den Reliefs hoch.
»Da siehst du die ganze Geschichte. Ahriman war zuerst auf diese Erde gekommen. Er war aus schmutzigem Schlamm geboren. Geister aus der Unterwelt hatten ihn beseelt. Das sind die Reliefs auf der linken Seite. Ahriman wird groß und mächtig, und er unterdrückt die Menschheit mit seinem todbringenden Stein. Siehst du diese Abbildung dort! Ein Ring mit einem übergroßen Diamanten daran. Das war Ahrimans Stein. Der Diamant des Todes. Doch dann hat die Sonne nach der Lehre Zoroasters einen Knaben geboren. Ormuzd hieß er. Er sollte den Kampf gegen Ahriman aufnehmen, und er war siegreich in diesem Kampf, weil seine Mutter, die Sonne, ihm geholfen hatte. Ahriman vertrug ihre Strahlen nicht. Und siehst du hier dieses Bild? Da fängt Ormuzd die Strahlen seiner Mutter Sonne mit einem Brennspiegel ein, um Ahriman zu vernichten. Aber Ahriman, dieses Geschöpf der Erde, verbrennt nicht. Er versinkt in der Erde samt seinem Ring. Ahriman ist ein Geschöpf der Erde. Ein Geschöpf seiner niedrigsten Tiefen. Ormuzd hat ihn verbannt und lässt das Licht seiner Mutter Sonne über den Menschen leuchten. Und so lange die Mutter Sonne über den Parsen leuchtet, sind sie auch gefeit gegen jedwede Angriffe aus den Tiefen der Finsternis. In diesem Bewusstsein sind sie wohlhabend geworden. Sie sitzen an den Schalthebeln der Macht in verschiedenen Ländern des Orients. Auch wurden sie deshalb manchmal angefeindet und wanderten in dunkle Verliese, wo sie nicht selten umgebracht wurden.«
»So wie Turhan Ciri umgebracht wurde?«
»Wir wissen es noch nicht genau. Aber ich glaube, dass er getötet wurde.«
Zamorra stand unter dem schmalen Vordach.
Turhan Ciri hatte sein Haus tatsächlich nicht abgesperrt. Man brauchte nur die Klinke zu drücken, um ins Innere zu gelangen.
Professor Zamorra öffnete die Tür.
***
Halbdunkel empfing sie. Zamorra hatte kein gutes Gefühl, als er das Haus betrat. Er drang widerrechtlich ein. Augenblicke lang klammerte er sich an die Hoffnung, Turhan Ciri doch noch vorzufinden.
Der Gelehrte war alt. Vielleicht war er krank geworden.
Doch auf seine Rufe wurde nicht geantwortet. Das Holzhaus war leer. Sie durchstöberten die Küche, den Schlafraum und kamen schließlich auch in die Studierstube, deren Fenster zu einem verwilderten Garten hinausreichten. Matt und angestaubt waren die Scheiben. Der Raum sah aus, als wäre noch vor kurzem darin gearbeitet worden. Auf einem Schreibtisch lag ein aufgeschlagenes Buch.
»Es ist ein wenig unheimlich hier«, sagte Nicole. »Leere Häuser bedrücken mich.«
»Verreist ist Turhan sicherlich nicht«, meinte Professor Zamorra.
»Es sieht hier aus, als hätte er das Haus nur vorübergehend verlassen.«
»Aber warum hat er dann diese Bücher mitgenommen?« fragte Nicole und deutete auf ein mit Schriften und Büchern überladenes Regal. Ein einziges Fach war leer. Eine ganze Reihe von Büchern fehlte.
Es sah aus wie eine makellose Zahnreihe mit einer einzigen Lücke darin. Hier fehlte wirklich etwas.
Zamorras Finger fuhren prüfend über das Brett.
»Kein Staub«, stellte er fest. »Die Bücher müssen erst vor kurzem von hier weggebracht worden sein.«
Er ließ seinen Blick über die anderen Bände gleiten. Meist waren es philosophische Werke. Nur die wenigsten Schriften waren in Türkisch abgefasst. Turhan Ciri hatte mehrere Sprachen perfekt beherrscht. Zamorra wusste auch, dass Turhan Ciri sich mit Magie beschäftigt hatte. Aber kein einziges Buch über Magie war mehr vorhanden. Dabei hatte er dem Gelehrten selbst einmal einen Band über Kabbala zum Geschenk gemacht. Dieser war ebenfalls verschwunden.
War vor ihnen ein Dieb in diesem Haus gewesen?
»Und sieh mal da!«, rief Nicole plötzlich aus. Ihr ausgestreckter Finger zeigte auf den Balken über der Tür. Er war über und über mit sinnverwirrenden Zeichen in verschiedenen Farben
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