0054 - Die Schlucht der Vampire
…«
Ein Mädchen namens Willa Salik schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Nein. Nein. Nein. Der Urwald wird uns umbringen. Einen nach dem anderen. Wir hätten beim Flugzeug bleiben sollen.«
»Dort hätte uns der Hitzschlag getroffen!« widersprach Bianco.
»Glauben Sie mir, Willa, hier im Dschungel sind wir so gut aufgehoben wie in Abrahams Schoß.«
Jurinac erhob sich. Er raunte Zamorra zu: »Ich habe das Gefühl, Bianco glaubt selbst nicht, was er da redet.« Der Dirigent zog sich zurück. Wenig später nahm Tito Bianco seinen Platz neben Zamorra ein.
»Ihre Rede war gut«, lobte der Professor den Italiener.
»Finden Sie?«
»Sie nicht?«
»Ich wäre schon zufrieden, wenn ich eine Person überzeugen konnte.«
»Jurinac ist der Meinung, Sie glaubten nicht, was Sie sagten.«
Bianco lächelte. »Er ist ein guter Menschenkenner.«
»Was bekümmert Sie?«
Bianco zog die Brauen zusammen, er rückte ein Stück näher, damit die anderen nicht hören konnten, was er dem Professor sagte.
»Ich habe mal ein Buch über diesen gottverfluchten Flecken Erde gelesen, Professor Zamorra.«
»Und?«
»Hinter diesem Dschungel soll eine geheimnisumwitterte Schlucht liegen.«
»Was für ein Geheimnis kann eine Schlucht schon bergen?« fragte Zamorra.
Bianco dämpfte seine Stimme noch mehr. »Kein Mensch, der diese Schlucht betreten hat, kam von da jemals wieder zurück!« sagte er eindringlich.
»Unsinn!« sagte plötzlich jemand hinter Zamorra.
Der Professor schaute sich um.
Maurice Massenet schüttelte unwillig den Kopf. »Ein aufgelegter Unsinn ist das!«
Bianco starrte den Missionar wütend an. »Wie können Sie das behaupten?«
»Weil ich schon mal da war.«
»In dieser Schlucht?«
»In der Todesschlucht! Jawohl. Und ich lebe immer noch, wie Sie sehen!«
Zamorra erkundigte sich: »Kennen Sie diese Geschichte, Monsieur?«
»Natürlich. Es ist nichts als ein Geschwätz, mit dem sich die Eingeborenen gegenseitig Angst machen wollen. Es entbehrt jeglicher Realität. Die Schlucht ist ebenso gefährlich oder ungefährlich wie jede andere auch.«
Bianco schluckte trocken. »Müssen wir durch sie hindurch?«
»Wir wollen doch nach Kafantschan.«
»Das schon… Aber …«
»Es ist der kürzeste Weg dorthin!« stellte der Missionar klar. »Denken Sie, daß Sie – und vor allem die Frauen – wenn wir erst einmal den Urwald hinter uns gebracht haben, noch die Kraft haben werden, einige hundert Kilometer mehr zu gehen, um der Schlucht auszuweichen?«
Das war ein Argument, das Bianco gelten lassen mußte. Er nickte bedächtig.
»Keine Sorge, ich werde Sie alle sicher nach Kafantschan bringen«, versprach der Missionar.
»Wollen’s hoffen«, sagte Bianco.
»Darf ich Sie um etwas bitten?« fragte Zamorra den Diamantenhändler.
»Natürlich, Professor.«
»Behalten Sie für sich, was Sie in diesem Buch gelesen haben.«
»Das versteht sich doch wohl von selbst«, stellte Tito Bianco mit heftigem Kopfnicken fest. »Wofür halten Sie mich? Für einen Idioten? Ich werde doch die Angst, die uns allen in den Knochen sitzt, nicht noch künstlich hochpeitschen!«
»Vergessen Sie, was ich gesagt habe«, erwiderte Zamorra.
Allmählich legten sich alle hin. Sie versuchten zu schlafen. Das Feuer knackte und prasselte leise.
Die Flammen züngelten auf dicken Holzscheiten. Im Urwald geisterten Tiere umher. Gespenstische Geräusche füllten die Luft. Langsam forderte die Erschöpfung ihren Tribut.
Auch Zamorra schlief mit bleiernen Lidern ein.
Plötzlich schreckte er hoch. Das Feuer war fast ganz niedergebrannt.
Es war kühl und feucht.
Zamorra setzte sich lauschend auf.
Was hatte ihn so jäh aus dem Traum gerissen? Angestrengt versuchte er, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen. Sein sechster Sinn meldete Gefahr.
Irgend etwas stimmte an dieser Situation nicht.
Mit einem Mal war dem Professor, als höre er jemanden um den Lagerplatz schleichen.
Nervös griff er zur Waffe. Welche Gefahr war es, die hier im dichten, verfilzten Dschungel auf sie lauerte? Zwei Kugeln befanden sich noch in der Pistole. Lächerlich wenig für einen so langen Marsch durch die grüne Hölle.
Zamorra erhob sich.
Ein geisterhaftes Zischeln und Wispern flog an sein Ohr. Er wirbelte herum. Nichts. Schwarze, unheimliche Finsternis. Mehr nicht.
Doch dann ein kurzes Schleifen.
Zamorra bewegte sich darauf zu. Er zählte in aller Eile die Leute, die um das Feuer herumlagen. Neunzehn! Er war die Nummer zwanzig! Wer aber schlich um das
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