006 - Der Teufelsbeschwörer
Momente als Siegfried, kam mir manchmal aber schon ein bißchen wie Superman vor. Vielleicht ist es ganz gut, daß ich zu meiner Ursprünglichkeit zurückgekehrt bin.«
Roxane trug den Lappen und die Scherben in die Küche. Ich hörte das Glas in den Mülleimer klimpern. Als die Hexe aus dem Jenseits wieder das Wohnzimmer betrat, hielt ich ein neues Glas Sherry für sie bereit.
»Und wieder einmal bewahrheitet sich ein Sprichwort«, sagte ich.
»Welches?« fragte Roxane.
»Kein Schaden ohne Nutzen.«
Wir setzten uns und wollten das TV-Spiel fortsetzen.
Da ging plötzlich ein Ruck durch den schlankenKörper des Mädchens, es wandte mir das bleiche Gesicht zu und stieß erschrocken hervor »Tony…!« Ihre Stirn kräuselte sich, der Blick war auf einmal sorgenverhangen, die vollen Lippen bebten.
Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, das hypersensible Para-Mädchen, spürte drohendes Unheil, schwarze Aktivitäten.
»Was ist?« fragte ich heiser.
Roxane verfügte – wie der Ex-Dämon Mr. Silver – über eine Reihe von übernatürlichen Fähigkeiten. Unter anderem war es ihr möglich, zwischen den Dimensionen hin und her zu pendeln, was ihr die Chance bot, aufzuschnappen, was in den Reichen des Schreckens geplant wurde. Aber auch mit Ahnungen und Träumen konnte Roxane oft schreckliche Dinge vorhersehen.
»Ich spüre eine geballte Kraft, Tony«, flüsterte das schwarzhaarige Mädchen und schaute mich mit den grünen Augen ernst an.
»Eine lebensbedrohende Konzentration des Bösen ist aufgebrochen wie ein eiteriges Geschwür. Nicht weit von hier. Es kann nicht weit sein, sonst würde mich die Strahlung nicht so heftig treffen.«
»Kannst du feststellen, woher die Strahlung kommt, Roxane?«
fragte ich gespannt.
Die Hexe aus dem Jenseits antwortete nicht, aber sie blickte in eine bestimmte Richtung. Vor meinem geistigen Auge entstand ein Stadtplan. Ich zog drauf einen Strich. Luftlinie…
Der Aufbruch des Bösen glich einer Vulkaneruption, die die Menschen überraschen sollte. Wenn das klappte, würde es Tote geben, das stand fest.
»Es passiert an einem schwarzen Ort«, sagte Roxane leise.
Ich rief mir sofort wieder den Stadtplan ins Gedächtnis, verfolgte die Linie, die ich vorhin gezogen hatte. Ein schwarzer Ort. In unserer Nähe. Dabei konnte es sich nur um die unheimliche Kapelle handeln, von der in letzter Zeit so oft die Rede war, weil sie weggeräumt werden sollte, sich aber kein Abbruchunternehmen an sie heranwagte. Aus gutem Grund, denn die Teufelsmönche hätten sich das nicht gefallen lassen.
Plötzlich peinigten mich Vorwürfe. Warum hatte ich mich nicht schon längst um diese verfluchte Kapelle gekümmert? Warum war ich den Satansmönchen noch nicht zu Leibe gerückt?
Zu viele andere Dinge waren mir immer wieder dazwischengekommen. Das war die Rechtfertigung, die auch vor mir selbst bestehen konnte, denn es stimmte. Jedesmal wenn ich mich der Kapelle widmen wollte, war ich von einem anderen Fall abgelenkt und überrollt worden.
Doch nun sollte mich nichts mehr davon abhalten.
Roxanes übersinnliche Wahrnehmung bedeutete für mich Alarmstufe eins.
Die schwarze Macht schien einen Kraftschub in die unheimliche Kapelle gesandt zu haben. Was stand uns bevor? Ein Großangriff der Teufelsmönche? Wir mußten uns sofort darum kümmern.
Der Himmel versuchte London immer noch zu ertränken, aber das konnte mich jetzt nicht mehr davon abhalten, das Haus zu verlassen.
Vor kurzem war ich noch froh darüber gewesen, im Trockenen zu sitzen. Nun würde ich naß bis auf die Haut werden, aber das nahm ich in Kauf, denn nichts war mir wichtiger, als Aktivitäten der schwarzen Macht zu zerstören, womöglich gleich im Ansatz.
Ich sprang auf.
Für Roxane war es selbstverständlich, daß sie mich begleitete.
Wir holten unsere Regenkleidung – Gummimantel, Gummistiefel.
Ich stülpte mir einen breitkrempigen, wasserabweisenden Hut auf den Kopf, sah aus wie Professor Bondy, der unheimliche Mörder in dem 3D-Film »Das Wachsfigurenkabinett des Professor Bondy«, aber ich konnte Roxane mit dieser Aufmachung nicht erschrecken.
Sie sah ja selbst so aus, war nur ein bißchen kleiner als ich.
»Fertig?« fragte ich die Hexe aus dem Jenseits.
Sie nickte. »Fertig.«
Ich holte meinen weißen Peugeot 505 TI aus der Garage, wir fuhren los, die Chichester Road entlang, Delamere Terrace vor bis zur Harrow Road, und gleich darauf kam der finstere Park in Sicht, in dem die verfluchte Kapelle stand. Böse und
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