0064 - Der Hexer von Paris
Anschließend sagte er: »Sie brauchen John Sinclair nicht anzurufen, das regele ich.«
»Es scheint mehr hinter dem Fall zu stecken, als wir ahnen«, meinte die Detektivin.
»Ja, das befürchte ich auch«, gab der Superintendent ihr recht.
»Soll ich ebenfalls nach Paris fliegen?« fragte Jane Collins vorsichtshalber an.
»Nein, Miß Collins. Es reicht, daß zwei meiner besten Männer dort unten sind. Sie werden es schon schaffen. Außerdem ist die französische Polizei informiert worden. Sie arbeitet mit John Sinclair und Suko Hand in Hand.«
»Na, dann kann ja nichts schiefgehen«, meinte Jane entgegen ihrer Überzeugung und hängte ein. Sie konnte sich einfach nicht helfen. Das mulmige Gefühl wurde sie nicht los.
Irgend etwas kam auf John Sinclair und Suko zu. Die Frage war nur – was?
***
Die Blicke des ersten Zwergs und die des auf dem Dach stehenden jungen Mannes trafen sich.
Für Bruchteile von Sekunden starrten sich die beiden an. Roger erkannte, daß der Zwerg eine Frau war.
Eine Frau mit asiatischen Gesichtszügen.
Shao…
Aber davon wußte er nichts. Er kannte nicht die Vorgeschichte, sondern sah nur dieses kleine, mordgierige Ungeheuer vor sich, das die Zähne fletschte und jetzt von den nachstürmenden Kreaturen zur Seite gedrängt wurde.
»Roger!« schrie Colette.
Der Junge aus dem Elsaß schaute sich um. Colette war bereits ein paar Schritte auf das Dach gelaufen. Sie winkte ihm zu. Instinktiv hatte sie den richtigen Weg eingeschlagen. Nach rechts auf die Schmalseite zu, wo es an das nächste Haus grenzte.
Der junge Mann lief auch los. Er faßte Colette bei der Hand. Sie schlugen einen Zick-Zackkurs ein und suchten hinter den aufrecht stehenden Kaminen Deckung, um nicht sofort gesehen zu werden. Die Kamine waren ebenso alt wie das Haus, bestanden aus Ziegelsteinen und besaßen an ihrer Öffnung einen Rußfilm.
Schweißtriefend lehnten sich die beiden in der Nähe des Dachrands an einen Kamin. Sie mußten erst Luft holen. Colette hatte ihre Hand auf ihr Herz gepreßt.
»Mein Gott«, japste sie, »ich… ich kann bald nicht mehr.«
Roger ging etwas zur Seite.
Sofort bekam Colette Angst. »Wo willst du hin?«
»Nur nachschauen, ob wir ungefährdet auf das Nachbardach springen können.«
Colette war beruhigt.
Roger wandte ihr den Rücken zu. Er ging vor bis zum Dachrand und schaute in die Tiefe. Unter ihm lag die Nachbargasse. Lokal reihte sich hier an Lokal. Die meisten hatten eine rote Beleuchtung. Vor vielen Bars saßen die Menschen auch draußen. Autos fuhren fast kaum durch die schmale Straße.
Das nächste Dach lag etwas tiefer. Wenn sie es erreichen wollten, mußten sie über die Gasse springen.
Eine Distanz von etwa drei bis vier Metern.
Roger lief eine Gänsehaut über den Rücken. Ob das zu schaffen war? Für ihn ja, er hatte schon in der Schule gut springen können. Aber Colette würde Schwierigkeiten haben.
Roger Dolain drehte sich wieder um.
Fiebernd schaute ihm Colette entgegen.
»Wir müssen eine Gasse überspringen«, sagte der junge Mann aus dem Elsaß und rückte seine Brille zurecht.
»Nein!«
»Leider.« Roger nickte.
»Schaffe ich das?« fragte Colette ängstlich.
Roger wollte schon vielleicht sagen, doch er besann sich und erwiderte: »Sicher!«
»Das sagst du nur so, damit ich den Mut nicht verliere.«
»Es gibt aber keinen anderen Ausweg.«
»Vielleicht könnten wir durch irgendeine Dachluke steigen«, schlug das Mädchen vor.
»Und dann wären wir wieder im Haus. Wer weiß, ob nicht noch Zwerge zurückgeblieben sind und dort auf uns lauern. Nein, Colette, es gibt keinen anderen Weg. Tut mir leid.«
»Na denn!« Das Mädchen hob die Schultern. Ängstlich schaute sie sich um.
Und da sah sie den Schatten.
Lautlos hatte sich der Zwerg herangeschlichen. Er war schon so nah, daß Colette sein Gesicht erkennen konnte.
Es war uralt, wirkte wie das einer Mumie. Der Zwerg hatte den Mund aufgerissen und die Zähne gefletscht. Er sah aus wie ein kleines wildes Raubtier.
Für Sekunden war Colette sprachlos.
Diese Zeit nutzte das kleine Ungeheuer.
Es stieß sich ab.
Colette schrie.
Dieser Schrei machte Roger Dolain mobil. Er kreiselte herum, und deshalb prallte der Zwerg nicht gegen seinen Rücken, sondern gegen seine Brust.
Dumpf prallte er auf und klammerte sich sofort fest.
Von dem Anprall wurde auch Roger zurückgestoßen. Nach zwei Schritten aber konnte er sich fangen.
Der Zwerg glitt an ihm hoch, wollte dem jungen Mann an die
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