0064 - Der Hexer von Paris
Steuererklärung. Sie hatte sämtliche Unterlagen zusammengesucht, sie sorgfältig sortiert und gebündelt ihrem Steuerberater übergeben.
Jane brauchte nur den Arm auszustrecken, um den Hörer zu erreichen.
»Sie, Sir?« fragte sie überrascht, als sie hörte, wer an der Strippe hing.
»Ja. Miß Collins, und ich rufe auch nicht zu meinem Vergnügen an.«
»Das hätte ich von Ihnen auch gar nicht erwartet«, erwiderte sie schlagfertig.
Powell knurrte nur. Dann kam er zur Sache. Er berichtete von Rita Tushings Anruf und bat Jane, sich des Falles anzunehmen. »Sie bekommen zwar kein Honorar dafür, aber John Sinclair ist im Augenblick nicht greifbar. Wenn Sie sich dahinterklemmen würden, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
Jane sagte zu.
»Okay, Miß Collins. Wenn Sie aus dem Krankenhaus zurück sind, sagen Sie mir bitte Bescheid.«
»Geht klar, Sir.«
Nachdenklich legte Jane Collins den Hörer zurück. Hinter ihrer Stirn arbeitete es. Der Fall, der für John Sinclair und Suko eine Niederlage gewesen war, begann sich neu zu entwickeln. Das kleine Mädchen wollte reden. Wahrscheinlich würden sich völlig andere Perspektiven eröffnen.
Die Detektivin war sofort bei der Sache. Sie ließ die Steuererklärung liegen, griff nach den Wagenschlüsseln und schnappte sich ihre Umhängetasche, die sie mit einer routinierten Bewegung über die linke Schulter warf. Dann verließ sie ihre Wohnung und fuhr mit dem Lift nach unten.
Der VW war vollgetankt. Jane steuerte ihn die Rampe der Tiefgarage hoch und fuhr ihrem Ziel entgegen.
Eine halbe Stunde benötigte sie, um die Klinik zu erreichen. Das Gebäude bestand aus mehreren Trakten und lag in einem parkähnlichen Gelände mit Blumenhainen und künstlich aufgeschütteten Hügeln. Als Kranker sollte man nicht den Anschein bekommen, in einer Sterbeklinik zu liegen.
Bei einem Pfleger erkundigte sich Jane nach der Psychiatrischen Klinik. Der Kerl sah sie an, als ob er selbst dahin gehörte, gab aber dann Auskunft.
Jane bedankte sich und fuhr los.
Lange starrte ihr der Pfleger hinterher.
Jane fuhr durch eine weitgeschwungene Kurve, gelangte hinter das Hauptgebäude und sah dann den Nebenbau, in dem die Psychiatrische Klinik ihren Sitz hatte.
Man tat gut daran, den Bau zu verstecken. Er war alt und häßlich, genau das Gegenteil des modernen Klinikums. Der kleine Parkplatz war vom Unkraut fast zugewuchert.
Jane stieg aus, schloß den VW ab und schritt leichtfüßig die wenigen Stufen zum Eingang hoch. Das blaue Kleid mit den zahlreichen kleinen Frühlingsblumen darauf, wehte um ihre Gestalt. Jane hatte das lange blonde Haar hinter die Ohren gekämmt und es im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie machte den Eindruck einer jungen modernen Frau, die weiß, was sie will.
Es gab eine Anmeldung. Jane sagte ihren Namen, und die resolut aussehende Frau hinter der Glasscheibe nickte.
Janes Name war bereits bekannt. Superintendent Powell hatte Vorsorge getroffen.
»Warten Sie einen Moment, Miß Collins. Ich lasse Miß Tushing gleich rufen.«
»Danke.« Jane nahm in einem Sessel Platz. Zwei Ärzte gingen an ihr vorbei und bedachten sie mit bewundernden Blicken. Eine Frau wie Jane fiel überall auf.
Dann kam Rita Tushing. Sie trat aus dem Fahrstuhl, schritt durch die Halle und schaute sich suchend um.
Jane stand auf.
Zögernd trat Rita Tushing auf die Detektivin zu. »Sie sind aber nicht Mr. Sinclair.«
»Nein.« Jane lächelte. Gleichzeitig präsentierte sie ihren Ausweis. »Superintendent Powell, mit dem Sie ja ebenfalls gesprochen haben, hat mich geschickt. Ich vertrete den Oberinspektor und bin auch mit dem Fall der kleinen Caroline vertraut. Sie brauchen sich also keine Gedanken zu machen.«
Rita Tushing nickte. »Wenn das so ist, Miß Collins, dann folgen Sie mir bitte.«
»Gern.«
Die Frauen betraten den Aufzug. Die Schwester drückte den Knopf zum dritten Stock. Sie trug einen einfachen weißen Kittel, der ihr etwas zu eng war.
Der Aufzug stoppte. Jane betrat einen ziemlich dunklen Gang, in dem es noch muffig roch. Rechts und links zweigten die einzelnen Zimmer ab.
»Gemütlich haben Sie es nicht gerade«, bemerkte die Privatdetektivin.
Rita hob die Schultern. »Was wollen Sie machen? Über den Neubau der Klinik wird noch verhandelt.«
Sie schritten den Flur entlang.
Manchmal vernahm Jane hinter den Türen seltsame Laute.
Mal Lachen, dann wieder Stöhnen – oder Gemurmel.
»Sind hier die schweren Fälle untergebracht?« erkundigte sie sich.
»Nein,
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