0065 - Gefangen in der Mikrowelt
Inspektor erwachte. Er richtete sich auf, verzog das Gesicht, und seine tastenden Finger fuhren über die Beule am Hinterkopf, die immer mehr anwuchs.
Fleuvee reichte ihm die Hand.
Montini zog sich hoch. Sein unsicherer Blick streifte den Karton auf dem Schreibtisch. »Ist es – ist es wirklich…?«
»Ja, es stimmt«, erwiderte der Kommissar. »In dem Karton liegt Inspektor Le Brac. Geschrumpft auf die Größe eines Fingers und tot. Es tut mir leid, aber es ist die schlimme Wahrheit.«
»O Gott«, flüsterte Montini.
»Glauben Sie mir nun, was ich Ihnen alles gesagt habe?« fragte Jane Collins den Kommissar.
»Ich muß ja wohl.«
»Was wollen Sie unternehmen?« erkundigte sich die blondhaarige Privatdetektivin.
Der Kommissar stützte beide Hände auf die Verkleidung der Schreibmaschine. Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.«
Montini stand am Waschbecken. Er ließ sich das kalte Wasser über den Nacken laufen. »Wir könnten vielleicht die Spur des Päckchens zurückverfolgen.«
»Nein«, erwiderte Fleuvee, »das hat keinen Zweck. Es ist von einem Boten abgegeben worden. Von einem Jungen, und der ist sicherlich längst verschwunden.«
»Dann bleibt uns nur eins«, sagte Jane.
Die beiden Beamten schauten sie an. »Wir müssen auf Professor Zamorra warten.«
Fleuvee schwieg. Pierre Montini aber meinte: »Ich glaube, Chef, Mademoiselle Collins hat recht.«
»Aber…«
»Kein Aber, Kommissar. Zamorra ist wirklich der einzige, der uns noch helfen kann.«
Fleuvee nickte.
Jane Collins aber dachte weiter. John Sinclair war mit Inspektor Le Brac zusammengewesen. Er, der Polizist und Suko waren in den Louvre eingedrungen. Le Brac war zusammengeschrumpft und tot. Hatte John Sinclair bereits das gleiche Schicksal hinter sich. Und Suko ebenfalls?
Jane Collins wagte nicht, daran zu denken.
»Und noch etwas«, meldete sich der Kommissar zu Wort. »Wir sind die einzigen, die wissen, was mit unserem Kollegen Le Brac geschehen ist. Ich möchte, daß das so bleibt. Also, Freunde, kein Wort zu einem Außenstehenden. Auch nicht zu den anderen Kollegen. Ist das klar?«
Montini und Jane Collins nickten.
Der Kommissar trat an seinen Schreibtisch und umfaßte den Karton mit beiden Händen.
»Was wollen Sie damit machen?« fragte Jane.
»Ich weiß es selbst nicht genau«, erwiderte Fleuvee. »Am liebsten würde ich ihn in den Schrank stellen und…«
Es klopfte.
Der Kommissar unterbrach sich und schaute zur Tür. »Ja«, rief er dann.
Einer der Polizisten steckte seinen Kopf durch den Türspalt. »Hier sind ein Herr und eine Dame, die Sie sprechen wollen, Chef. Ihre Namen lauten…«
»Die sagen wir schon selbst«, erklang eine sonore, ungeheuer männliche Stimme auf. Im nächsten Moment wurde der an der Tür stehende Polizist zur Seite gedrängt, und das Paar betrat den Raum.
»Zamorra!« rief Jane Collins erfreut und sagte noch im gleichen Atemzug: »Dem Himmel sei Dank…«
***
Ich hatte einige der schlimmsten Minuten meines bisherigen Lebens hinter mir.
Nicht den Kampf mit der Spinne, auch nicht das gläserne Gefängnis, das zählte ich nicht. Etwas anderes war viel schlimmer.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Ich, John Sinclair, Polizeibeamter, mußte mit eigenen Augen mitansehen, wie ein Mord verübt wurde.
An einem Kollegen.
Inspektor Le Brac.
Ich weiß nicht, welche Empfindungen mich in den schrecklichen Momenten quälten, mir war nur eins klar: Dieser Mord durfte nicht ungesühnt bleiben.
Belphegor hatte Le Brac getötet. Mich und Suko hatte er zuvor aus unserem Gefängnis befreit.
Wir hatten zusehen müssen, und wir konnten uns nicht wehren, denn zwei Zwerge hielten uns fest umklammert.
Wie er ihn getötet hatte, möchte ich nicht beschreiben, aber den Anblick würde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen.
Belphegor war ein Satan. Wie hätte ich das je vergessen können.
Man hatte den toten Le Brac in einen Schuhkarton gepackt, den Deckel zugeklebt und abtransportiert.
»Als Warnung«, erklärte mir Belphegor hohnlachend. »Als Warnung für die anderen.«
Ich war fast verrückt geworden, und Suko erging es ähnlich. Nun aber wußten wir, welches Schicksal uns bevorstand. Mittlerweile war auch in meinem Innern die allerletzte Hoffnungsblase zerplatzt. Wenn wir die normale Größe gehabt hätten, dann hätte ich vielleicht noch eine Chance gesehen. So aber…
Belphegor kehrte zurück, nachdem der Karton weggeschafft worden war. Allerdings nicht allein. In seiner
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