0068 - Todeswalzer
und ich muß es wieder herunternehmen.«
Ich begab mich zum Fenster und blickte hinaus. Vor mir lag ein schmaler, schlauchartiger Hinterhof.
Eugene Drake trat neben mich. »Sehen Sie die Tür dort, Oberinspektor?«
»Ja.«
»Dort tauchte dieser Spuk plötzlich auf. Sie können sich vorstellen, daß ich aus allen Wolken fiel. Ich dachte, meinen Augen nicht trauen zu können. Ein Skelett! Am hellichten Tag. Nicht einmal in der Nacht, zwischen zwölf und eins. Das wäre wenigstens die Geisterstunde gewesen…«
»Was taten Sie, als das Skelett aus der Tür trat, Mr. Drake?« erkundigte ich mich.
»Ich versteckte mich natürlich.«
»Haben Sie den Knochenmann auch gesehen, Mrs. Drake?« fragte ich Jillie Drake.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung, war in der Küche….«
»Ich wollte meine Frau rufen«, sagte Eugene Drake, »aber ich brachte vor lauter Angst keinen Ton heraus. Erst als der Spuk vorüber war, lief ich zu meiner Frau in die Küche und erzählte ihr stotternd, was ich beobachtet hatte. Ich sagte: ›Ich glaube, Mr. Marshall ist irgend etwas zugestoßen!‹ Und dann eilten wir gemeinsam nach nebenan, in die Galerie, um nach Mr. Marshall zu sehen.«
Die Frau schluchzte wieder laut auf.
»Nachdem der Knochenmann aus dem Nebenhaus getreten war, wohin wandte er sich da?« wollte ich wissen.
»Er überkletterte die Mauer und verschwand«, sagte Eugene Drake. »Ich kann Ihnen sagen, so furchtbar habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht aufgeregt. Ich dachte, mein Herz würde stehenbleiben.«
»Das kann ich verstehen. So etwas Unheimliches erlebt man schließlich nicht jeden Tag.«
»Wie kann es so etwas geben? Ein Skelett…« Eugene Drake schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich bin nicht in der Lage, mir das zu erklären. Können Sie es, Oberinspektor?«
»Genügt Ihnen, wenn ich Ihnen sage, daß hier dämonische Kräfte im Spiel sind? Die Macht des Bösen ist unvorstellbar groß…«
»Sie haben diese Macht zu bekämpfen, nicht wahr?«
»Ja.«
Eugene Drake wiegte den Kopf. »Ehrlich gesagt, um diesen Job beneide ich Sie nicht, Oberinspektor.«
Ich lächelte. »Einer muß es tun. Ohne mich selbst zu loben, kann ich behaupten, daß ich für diesen Kampf die nötigen Voraussetzungen mitbringe.« Ich wandte mich an Jillie Drake. »Hatte Melvyn Marshall Feinde, Mrs. Drake?«
Die Frau schüttelte den Kopf. Sie putzte sich geräuschvoll die Nase. »Ich sagte doch schon, er war ein guter Mensch, Oberinspektor…« Sie senkte den Blick. »Nein, ich glaube nicht, dass Mr. Marshall Feinde hatte. Allerdings gibt es einen Maler, der nicht gerade Mr. Marshalls Freund war. Mr. Marshall beklagte sich immer wieder bei mir über diesen Mann. Er zeigte mir dessen Bilder und sagte: ›Nun sehen Sie sich diesen Mist an, Jillie. So etwas soll ich verkaufen. Die Kunden werden bald einen großen Bogen um meine Galerie machen, wenn ich diese minderwertigen Arbeiten noch lange ausstelle.‹ Mr. Marshall erzählte mir, daß der Maler, der diese Bilder verbrochen hatte, rauschgiftsüchtig sei. Das wäre der Grund, weshalb seine Arbeiten immer schlechter würden.«
»Warum hat Marshall die Bilder nicht zurückgegeben?« erkundigte ich mich.
»Das hat er getan.«
»Wann?« fragte ich.
»Heute vormittag«, antwortete Jillie Drake. »Er hat alle zehn Gemälde in seinen Kastenwagen gestellt und ist damit zu Chris Rhodes gefahren…«
Ich horchte auf. »Einen Moment, Mrs. Drake. Wie war der Name?«
»Rhodes. Chris Rhodes. Kennen Sie ihn?«
Ich schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nicht persönlich. Aber gehört habe ich diesen Namen schon einmal.«
Mein Denkapparat kam gehörig in Schwung: Zweimal Mord! Zweimal hatte ein Skelett getötet! Zweimal hörte ich hinterher denselben Namen – Chris Rhodes!
Den Mann mußte ich mir unbedingt ansehen.
Jillie Drake konnte mir seine Adresse nennen. Ich bedankte mich für die Auskunft, verabschiedete mich, verließ die Wohnung des Ehepaares Drake, setzte mich in meinen silbermetallicfarbenen Bentley und fuhr los.
Zwanzig Minuten später schellte ich an Chris Rhodes’ Tür. Ich brannte darauf, die Bekanntschaft des Malers zu machen. Und ich hatte nicht die Absicht, den Mann mit Samthandschuhen anzufassen.
Wenn ich ihn hart genug anpackte, warf ihn das vielleicht aus dem Gleichgewicht, und er machte einen Fehler, mit dem er sich als jener Drahtzieher entlarvte, der hinter diesen unheimlichen Geschehnissen steckte.
Aber ich hatte kein
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