0068 - Wir holten sie vom Schiff
Alkohol voll bis zum Überlaufen und hielt uns die Mündung einer Pistole drohend entgegen. Abgesehen davon, dass ich nie ein Freund von Pistolenmündungen gewesen bin, die auf meine Brust gerichtet sind, fand ich gerade diesmal die Situation besonders heikel, denn wer garantiert einem schon, dass ein Betrunkener nicht völlig aus Versehen mal seinen Finger einen Millimeter zu weit krümmt?
Erst mal beruhigen, dachte ich und streckte gehorsam meine Hände zur Decke, während ich ganz langsam aus der Hocke hochkam.
»Finden Sie nicht, dass diese Art Gesellschaftsspiel ein bisschen lebensgefährlich ist?«, murmelte Phil, während auch er seine Hände hochhob, wobei er das Glas mitheben musste, was ziemlich komisch aussah.
»Ihr ververdammten Kidnapper!«, lallte der Betrunkene und fuchtelte mit seinem Schießeisen in der Luft herum. »Wo ha-habt - hick! - habt ihr sie hingebracht, he?«
Ich hatte keine Ahnung, von wem er sprach und was er überhaupt meinte.
»Von wem sprechen Sie eigentlich?«, erkundigte ich mich deshalb.
Er lachte wütend.
»Stellt euch nur ni-nicht dämlich, ihr verdammten Halunken! Ich-hick! - ich weiß ganz genau, we-wen ich meine!«
»Dass Sie es wissen, glaube ich sofort«, grinste ich. »Aber wir wissen es nicht. Möchten Sie vielleicht so nett sein, das Schießeisen wegzulegen, damit wir uns wie vernünftige Menschen unterhalten können? Wer sind Sie eigentlich?«
»Ich bin Mikel Ocarra, Ocacarra, verstanden? Ich bin Jenns Freund! Und ihr verdammten Burschen habt sie gekidnappt! Ich - hick! - ich will je-jetzt sofort wissen, wo ihr sie hi-hingebracht habt! Sonst knall ich euch ü-über den Hau-hick-hauf en!«
»Wer ist Jenn?«, fragte ich.
Er geriet in Wut und riss die Pistole hoch. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, dass Phil sich mit dem Sessel nach hinten fallen ließ und mit einer Rückwärtsrolle sich hinter der Couch in Deckung brachte. Gleichzeitig hechtete ich hinter meine Musiktruhe. Mitten in unsere überstürzten Bewegungen dröhnte der Schuss.
Die Kugel fuhr in die Wand und riss einen hässlichen Kratzer in die Tapete. Ich peilte unter der Musiktruhe hindurch, konnte aber nur die Beine des Burschen erkennen. Vorsichtig wagte ich, den Kopf seitlich hinter der Truhe hervorzuschieben. Mir blieb die Luft weg vor Wut.
Der Kerl demolierte mit seiner blödsinnigen Knallerei meine Wohnung, und jetzt stand er quietschvergnügt auf der Schwelle und wollte sich ausschütten vor Lachen. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht, und sein Gelächter dröhnte wahrscheinlich durchs ganze Haus.
Seine Arme hingen jetzt schlaff am Körper herab. Die Mündung der Pistole zeigte nach unten. Meine Entfernung zu ihm betrug knapp drei Yards.
Ich duckte mich langsam hoch, wie ein Jaguar, der zum Sprung ansetzt. Phil merkte meine Absicht und versuchte, den Kerl abzulenken.
»Sehr lustig, was?«, rief er ihm zu.
Sein Kopf wendete sich in die Richtung, aus der Phils Stimme gekommen war.
Im selben Augenblick schoss ich vor wie ein Pfeil, der von der Sehne schnellt. Ich krallte meine beiden Handgelenke fest um seinen rechten Unterarm. Von der Wucht des Zusammenpralls stürzten wir beide zu Boden. Ich ließ auch im Sturz seinen Arm nicht los. Da wir nach hinten in den Flur hinausfielen, kam ich über ihn.
Bevor er sich’s versah, drehte ich seinen Arm, er stieß einen spitzen Schrei aus - und die Pistole war in meinen Händen.
Ich sprang auf und blieb dicht vor ihm stehen. Jetzt zeigte die Mündung seiner Kanone auf ihn selbst.
»Stehen Sie auf, mein Lieber!«, knurrte ich nicht sehr freundlich.
Er versuchte es. Aber er war zu betrunken, um allein auf die Beine kommen zu können. Phil half ihm. Als der Bursche schwankend an der Flurwand lehnte, hörten wir draußen das näherkommende Geheul einer Polizeisirene. Wahrscheinlich hatte jemand von den Nachbarn den Schuss gehört und die Polizei alarmiert.
»Phil«, sagte ich. »Geh raus und erkläre den Cops, mir wäre aus Versehen ein Schuss aus meiner Dienstpistole losgegangen!«
Phil sah mich überrascht an.
»Was? Willst du denn diesen besoffenen Kerl vor den Cops in Schutz nehmen?«
Ich zuckte die Achseln, ließ den Burschen aber nicht aus den Augen.
»Das weiß ich noch nicht, Phil. Jedenfalls möchte ich mich erst einmal ungestört mit dem Jungen unterhalten. Wenn er nicht gesprächig wird, kann ich ihn ja immer noch der Stadtpolizei wegen Hausfriedensbruches, Mordversuches an zwei G-men und nächtlicher Ruhestörung
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