0073 - Der Satansfjord
wieder im Wasser und zogen sich zurück.
Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis unser Boot sinken würde. Es hatte bereits gefährliche Schlagseite. Wir hatten im Kampf gegen die Wellen viel Wasser übergeholt und noch keine Zeit gehabt, es über Bord zu schöpfen. Und die Rentiere gingen zu einer anderen Taktik über. Sie drängten alle von einer Seite gegen die Bordwand.
»Sie kippen uns um, John!« rief Suko alarmiert.
»So leicht geht das nicht!« Ich packte das silberne Kreuz und hielt es wie schon draußen auf hoher See über meinen Kopf. Das wirkte. Auch die Rentiere, die weiter entfernt im Wasser trieben, wurden von der Kraft meiner Waffe verscheucht. Wir bekamen Luft, und unser Boot stabilisierte sich.
»John, Vorsicht!« schrie Suko.
Er versetzte mir einen Stoß, der mich gegen das Steuerrad schleuderte. Im nächsten Moment krachte seine Pistole. Ich taumelte und hörte ein fast menschliches Kreischen und Schreien.
Erschrocken fuhr ich wieder hoch. Ein Rentier hatte versucht, über die Bordwand zu klettern. Mit den Vorderbeinen stand es bereits im Boot. Hätte Suko mich nicht gerettet, wäre ich hinterrücks aufgespießt worden und hätte wie Hester Vine geendet.
Suko hatte dem Rentier eine Silberkugel zwischen die Augen gesetzt. Ich empfand Mitleid mit dem Tier, obwohl mein Freund gar keine andere Wahl gehabt hatte.
In den nächsten Sekunden änderte ich meine Meinung über das »arme Opfer«. Es verwandelte sich nämlich vor unseren Augen, während es in das Wasser zurücksank. Das Fell löste sich, das Geweih fiel ab. Ein abscheulicher, schuppiger Körper kam zum Vorschein, halb Fisch, halb Saurier. Der Schädel erinnerte an einen Hai. In dem weit aufgerissenen Maul blitzten dolchartige Zähne. Fauliger Brodem schlug uns aus dem Schlund der Bestie entgegen. Anstelle der Hufe entdeckte ich Pranken mit fürchterlichen Krallen. Ein langer Schweif peitschte das Wasser, daß es hoch in den nächtlichen Himmel spritzte.
»Ein Dämon!« Ich schickte noch eine Silberkugel hinterher. Das überlebte das höllische Wesen nicht. Silber war für Dämonen niederer Rangstufen absolut vernichtend. Das Scheusal zerplatzte unter Wasser und färbte den Fjord wie ein Tintenfisch.
Suko schoß von der Hüfte aus. Seine Kugel fegte ein Rentier vom Bug. Es hatte versucht, mit den scharfen Hufen ein Loch in die Außenwand des Bootes zu kratzen. Ich jagte zwei Kugeln auf Rentiere, die ihre Hufe gegen die Schiffsschraube schmetterten. Alle drei Getroffenen verwandelten sich in ähnliche Scheusale wie vorhin ihr Artgenosse, obwohl jedes anders aussah. Eines hatten sie gemeinsam, nämlich die schimmernden Schuppen.
Jeder von uns hatte ein Reservemagazin für seine Waffe eingesteckt. Wir mußten vorsichtig mit unseren Pistolen umgehen, sonst standen wir ohne Munition da, und wir kämpften noch immer gegen eine im wahrsten Sinne des Wortes erdrückende Übermacht.
»Spar dir die Kugeln!« rief ich Suko keuchend zu.
Er nickte, steckte seine Pistole weg und griff zu der Dämonenpeitsche. Sie war eine tödliche Waffe, genau wie die Beretta, und mit kräftigen Hieben trieb Suko die Dämonen am Heck zurück. Diejenigen, die das Boot vom Bug her überrollen wollten, verjagte ich mit Hilfe des silbernen Kreuzes.
»Wir müssen hier raus, sonst bekommen sie uns doch noch!« schrie Suko und schlug kraftvoll zu. Die Peitschenschnüre zuckten wie Blitze durch die Luft und fanden ihr Ziel. Mit wütendem Brüllen versanken die Dämonen. Ihre Plätze wurden sofort von anderen eingenommen, die noch die Gestalt von Rentieren besaßen. Mittlerweile bezweifelte ich, daß überhaupt ein einziges Tier unter der Herde war. Das erklärte auch, wie die Rentiere sich auf den unwegsamen Klippen gehalten hatten.
Ich ließ den Motor an. Der Kampf lief lautlos ab, von dem Plätschern der Wellen abgesehen. Jetzt brüllte der Motor auf, als ich ihn überdrehte und die Kraft auf die Schraube legte.
Mit angehaltenem Atem wartete ich darauf, was passieren würde. Wenn die Schraube schon beschädigt war, konnten wir unser Testament machen. Dann endeten wir wie die anderen vor uns in diesem geheimnisvollen Fjord.
Ich hätte vor Freude schreien mögen, als das Schiff einen Ruck machte und kräftig beschleunigte. In einem engen Kreis wendete ich das Boot und jagte auf die scheinbar geschlossene Felswand am Eingang des Fjordes zu.
»Ein Vulkan!« rief Suko und deutete aufgeregt in das Wasser.
Ich konnte das Steuer keinen Moment lang loslassen.
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