007b - Duell mit den Ratten
habe ich nicht gefragt«, sagte Mrs. Reuchlin scharf. »Prosper soll hereinkommen!«
Coco vernahm das Geräusch der sich öffnenden und wieder schließenden Tür.
»Prosper, du weißt, wessen dich Jimmy beschuldigt?« fragte Mrs. Reuchlin.
»Jawohl, Frau Direktor«, antwortete Prosper Fludd unterwürfig.
»Und was hast du dazu zu sagen?«
»Kein Wort von dem, was Jimmy sagt, ist wahr«, antwortete Prosper mit der gleichen Unterwürfigkeit. »Es war ganz anders. Er hat mich geweckt und gesagt, daß ihm ein Unglück passiert sei. Er versprach mir Geld, wenn ich das Laken mit ihm tauschen würde. Durch unser Gespräch wurden Bob und Peter wach. Sie haben alles mit angehört. Sie können bezeugen, daß ich die Wahrheit sage.«
»Fürchte dich nicht, Prosper!« sagte Mrs. Reuchlin. »Deine Version klingt mir viel glaubwürdiger als die von Jimmy. Findest du das nicht auch, Jimmy? Warum sollte Prosper das tun, dessen du ihn beschuldigst?«
»Es ist aber wahr!« beteuerte Jimmy schluchzend. »Bob und Peter geben ihm nur recht, weil sie Angst vor ihm haben.«
»Jimmy!« Mrs. Reuchlin sprach seinen Namen mit aller Strenge aus. Dann fuhr sie mit samtweicher Stimme fort: »Es ist eines der sträflichsten Vergehen, jemanden für etwas verantwortlich zu machen, das man selbst begangen hat. Das weißt du doch selbst. Ich finde es niederträchtig und verabscheuungswürdig, wenn man für seine Taten nicht selbst einsteht. Und ich bin der Ansicht, daß so etwas mit aller Härte bestraft werden muß. Stimmst du mir zu, Jimmy?«
»Jawohl, Frau Direktor. Aber …«
»Keine Widerrede! Da Prosper der Betroffene ist, wird er die Bestrafung selbst ausführen. Zwanzig Stockhiebe auf die Fußsohlen. Außerdem wirst du zehn Tage lang eine Gummihose tragen, Jimmy.«
Coco glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Zwanzig Stockhiebe. Das war eine Strafe, wie man sie im Mittelalter über Gesetzesbrecher verhängte. Außerdem mußte Mrs. Reuchlin Prosper doch schon längst durchschaut haben.
Sie wartete so lange, bis die Geräusche in der Direktion verstummten und sie sicher sein konnte, daß Mrs. Reuchlin allein war. Dann klopfte sie an die Verbindungstür.
»Ja, Miß Swanson?«
Coco trat ein. Mrs. Reuchlin blickte ihr mit unwillig gerunzelter Stirn entgegen.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Coco, »aber ich habe zufällig das vorangegangene Gespräch mit angehört.«
Mrs. Reuchlin lächelte spöttisch und spielte mit ihrem Füllhalter. »Und jetzt kommen Sie wohl, um mir pädagogische Ratschläge zu geben, nicht wahr, Miß Swanson?« fragte sie. »Aber bevor Sie das tun, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß dies nicht in Ihren Aufgabenbereich fällt. Die Erziehung der Zöglinge müssen Sie schon mir überlassen.«
»Ich finde es dennoch hart, sogar geradezu barbarisch, Jimmy auf diese Weise zu bestrafen. Ganz abgesehen davon glaube ich nicht …«
Mrs. Reuchlin schnitt ihr das Wort mit einer Handbewegung ab. »Sie würden Jimmys Vergehen also durchgehen lassen? Erzählen Sie mir nicht, daß es andere Methoden gibt, um Bettnässer zu heilen. Dafür sind Sie nicht kompetent. Ich habe bisher mit meinen Methoden guten Erfolg gehabt und werde auch Jimmy zur Reinlichkeit erziehen. Was, glauben Sie, würden Jimmys Eltern sagen, wenn ich ihnen ihren Sohn in diesem Zustand zurückgebe und er gleich in der ersten Nacht ins Bett macht? Meine Schule käme in einen schönen Ruf.«
»Ich glaube«, sagte Coco erregt, »bei einer Schule mit nur neun Zöglingen kann es mit dem guten Ruf nicht sehr weit her sein. Die anderen Eltern werden schon gewußt haben, warum sie ihre Kinder nach Hause holten.«
»Miß Swanson!« Mrs. Reuchlin erhob sich halb in ihrem Stuhl, ließ sich dann aber langsam wieder zurücksinken und lächelte abfällig. »Was fällt Ihnen ein, daß Sie mir solche Dinge sagen? Wie kommen Sie dazu, über anderen, von deren Verdiensten Sie überhaupt keine Ahnungen haben, einfach den Stab zu brechen? Sie sind noch jung, Miß Swanson. Ihr Temperament geht leicht mit Ihnen durch. Deshalb will ich nachsichtig mit Ihnen sein. Aber ich möchte Ihnen doch raten, sich nicht noch einmal zu solch einem dreisten Auftritt hinreißen zu lassen.«
»Ich kann es nicht mit ansehen, wenn Kinder geschlagen werden.«
»Die Stockschläge werden Jimmy mehr nützen als schaden«, behauptete Mrs. Reuchlin. »Zumindest erreiche ich damit, daß er nicht noch einmal einen seiner Kameraden verleumdet.«
»Da mögen Sie recht haben«,
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