007b - Duell mit den Ratten
sie nicht wach, sondern machten sie schläfrig. Sie legte sich aufs Bett zurück, um sich etwas zu entspannen. Die Augen fielen ihr wie von selbst zu.
Plötzlich schreckte sie hoch. Irgend etwas hatte sich in ihrem Zimmer verändert. Sie blickte auf die Uhr. Es war bereits zehn Minuten nach elf. Konnte es sein, daß sie für zwanzig Minuten eingeschlafen war?
Der Papageienkäfig!
Sie sprang auf die Beine. Der Käfig war weg. Jemand mußte, während sie geschlafen hatte, in ihrem Zimmer gewesen sein und den Käfig gestohlen haben. Vielleicht war es dieselbe Person gewesen, die für ihre plötzliche Müdigkeit verantwortlich war?
Coco ging zur Tür. Der Riegel war vorgeschoben, doch das hatte wenig zu besagen. Sie hatte es hier mit Dämonen zu tun, und deshalb mußten ganz andere Maßstäbe angelegt werden. Sie schob den Riegel zurück und öffnete langsam die Tür. Der Korridor lag verlassen da. Durch die hohen Fenster fiel fahles Mondlicht herein. Außer dem Wimmern und Klagen waren jetzt auch noch andere Laute zu hören: ein wohliges Seufzen, das sich mit rauem Lachen und spitzen, verhaltenen Schreien der Lust vermischte.
Coco folgte den Stimmen bedenkenlos und kam in jenen Seitengang, der in den Nordflügel führte, wo Irene Reuchlins Zimmer lag. Als sie Mrs. Reuchlins Tür erreicht hatte, stellte sie fest, daß die Stimmen von hier kamen. Das überraschte sie nicht. Sie wußte ja, daß die Direktorin gelegentlich Besuch von einem Mann bekam, von dem niemand wußte, ob es ihr Gemahl oder nur ihr Geliebter war. Jedenfalls schien er der Besitzer des Internats zu sein, denn es war nach ihm benannt. Coco erinnerte sich, daß auch ein Dämon der Lust diesen Namen hatte. Isacaaron hatte, wollte man der Überlieferung glauben, gegen Ende der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts in dem Kloster Loudun die Nonne Mutter Johanna von den Engeln heimgesucht. War er nun zu Irene Reuchlin gekommen?
Coco rümpfte die Nase, da ihr ein abscheulicher Gestank entgegenschlug. Die Stimmen waren nun schon ziemlich laut, aber Coco konnte dennoch kein Wort von dem verstehen, was in Mrs. Reuchlins Zimmer gesprochen wurde. Der Mann sprach mit einem so tiefen Baß, daß die Tür davon vibrierte. Irene Reuchlins Stimme klang dagegen schrill. Sie lachte, dann sagte sie irgend etwas Unverständliches – und lachte abermals. Gleich darauf sprach wieder der Mann, und seine Stimme ging Coco durch Mark und Bein.
Als sie nur noch zwei Schritte von der Tür entfernt war, wurde der Gestank fast unerträglich. Es war eine Mischung aus Schwefeldämpfen und Verwesungsgeruch, aber das konnte sie sich auch nur einbilden. Sie mußte sich gegen die Wand lehnen, und allmählich fühlte sie sich wieder besser. Entweder hatte sie sich jetzt an den Gestank gewöhnt, oder er hatte sich verflüchtigt. Die Stimmen waren auch verstummt. In Irene Reuchlins Zimmer war es plötzlich still geworden.
Coco faßte Mut und griff nach der schweren Messingklinke. Sie öffnete die Tür, zuerst langsam und nur einen Spalt, dann stieß sie sie ganz auf. Das Zimmer war leer. Eines der beiden Fenster stand weit offen. Die Stimmen kamen jetzt aus dem Park.
Wie von selbst setzten sich Cocos Beine in Bewegung und trugen sie zum Fenster. Sie stellte sich hinter die aufgeblähten Vorhänge und schaute vorsichtig in den Park hinaus. Dort lief Irene Reuchlin mit grazilen Bewegungen über die Wiese auf den Wald zu. Sie war völlig nackt. Coco konnte im Schein des Mondes alle Einzelheiten an ihrem makellosen Körper erkennen. Als sich die Internatsleiterin nach dem Mann umdrehte, der hinter ihr herlief, zeigte sich allerdings, daß Irenes Körper doch nicht so makellos war. Die dunkle Narbe machte aus ihrem schönen Gesicht eine Fratze, und unter der linken Brust hatte sie einen schwarzen, handtellergroßen Fleck.
Als sich der Mann im Laufen einmal um seine Achse drehte, hielt Coco unwillkürlich den Atem an. Er hatte kein Gesicht! Wo sein Gesicht hätte sein müssen, war nur undurchdringliche Schwärze. Jetzt war sie sicher, daß es sich um Asmodi, den Fürst der Finsternis, handelte. Denn Asmodi hatte tausend Gesichter und zeigte doch nie sein wahres.
Coco drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Als sie in den Korridor hinauskam, lehnte sie sich gegen die Wand, um sich erst einmal zu beruhigen. Sie preßte ihre heiße Stirn gegen die kühle Mauer und fühlte, wie ihre Erregung langsam abklang. Und je mehr sich ihre umnebelten Sinne klärten, um so stärker hörte sie wieder
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