008 - Der schlafende König
zwanzig Zentimeter ab.
Graue Kästen mit kleinen Fenstern? Computerbildschirme? Bildtelefone? Matt kratzte sich am Kopf. Oder hatte Aruula etwa Fernsehapparate gesehen?
»Was haben sie gemacht, Aruula?« fragte Matt. »Die kleinen Lebewesen, meine ich.«
»Sie haben gesprochen und geschrien… Ich habe nichts verstanden. Sie waren sehr aufgeregt. Und sie haben Knöpfe gedrückt. Dann hat es im Dunkeln gezischt, und die Dinge, die da herumflogen, sind geplatzt und haben gebrannt.«
Wenn ich es nicht besser wüsste, dachte Matt, könnte man meinen, sie hätte irgendeine Star- Trekfolge gesehen.
Aber das war natürlich unmöglich.
Es gab keine Fernseher mehr. Andererseits… Wenn Aruula die wirren Träume eines Menschen aufgefangen hatte, der irgendwann eine solche…
Matts Kopf ruckte hoch. . Ihm fielen nur drei Menschen ein, die all diese Dinge kannten! Drei Menschen aus seiner Zeit: Hank Williams, Jenny Jensen und Dave McKenzie! War einer von ihnen hier?
In dieser Nacht fand Matt keinen Schlaf mehr. Immer wieder lugte er zu der befestigten Villa hinüber. Doch bevor er' das Terrain nicht ausgekundschaftet hatte, war nicht daran zu denken, einen Vorstoß zu wagen. Erst musste er warten und beobachten. Doch die Aussicht darauf, bald einen seiner Kameraden wiederzusehen, hielt ihn bis zum Morgengrauen wach. Erst dann fiel er in einen leichten, unruhigen Schlummer…
***
COMPUTER-TAGEBUCH: BRUNO MÖTZLI (2112)
Wenn ich nun dazu übergehe, das Virtual Diary - ich habe es wegen des Kürzels V. D. scherzhaft »Vader« getauft - zur Speicherung der uns beschäftigenden Probleme zu verwenden, geschieht dies in erster Linie aus dem Grund, dass ich über keinerlei Papier mehr verfüge, um das Tagebuch unserer Sippe fortzuführen aber auch, weil ich um jeden Preis verhindern muss, dass mein Wissen der Vergessenheit anheimfällt.
Was außerhalb unserer festen Burg geschieht, erfüllt mich zunehmend mit Grauen: 100 Jahre nach dem Untergang der alten Welt leben in Zürich nur noch knapp 200 Menschen. Die große Mehrheit ist analphabetisch und weiß nicht einmal mehr, welche Katastrophe uns in diese Lage gebracht hat. Mein Großvater, der das Armageddon persönlich miterlebt hat, schwört Stein und Bein, dass dieses kollektive Vergessen vom Kometen ausgeht. Die Auswirkungen auf die dritte Generation der Überlebenden sind deutlich auch in unserer Familie. Um zu verhindern, dass die Kinder meiner Enkel irgendwann dem Vergessen anheimfallen, muss ich ihnen eine Aufgabe stellen, die ihre ganze Konzentration erfordert und sie auf Generationen an diese Festung bindet, die den Einfluss des Kometen abzuhalten scheint. Leider fehlt mir die geisteswissenschaftliche Bildung, ihnen eine Philosophie zu vermitteln, nach der sie streben können und von ich annehmen könnte, dass man sie auch nach Jahrhunderten nicht vergisst.
Doch weiß ich aus Erzählungen meines Großvaters, dass es geschlossenen Gemeinschaften, die starren Ritualen huldigen Großvater bezeichnete sie als »Sekten« auch in früheren Zeiten immer erfolgreich gelungen ist, ihren Fortbestand zu sichern.
Es muss mir gelingen, meinen Nachfahren verständlich zu machen, dass wir, die Familie Mötzli, die einzigen Kulturbewahrer der Welt sind… Auf keinen Fall dürfen sie in Lethargie verfallen wie anderen Überlebenden…
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COMPUTER-TAGEBUCH: JÜRGMÖTZLl(2190)
Achtundsiebzig Jahre sind vergangen, seit mein Großvater uns beauftragt hat, den von seinem Großvater entdeckten Tempel des schlafenden Königs zu hegen und den Tubeln von Züri zu verkünden, dass dereinst der Tag kommt, an dem Er erwacht, um über Mensch und Tier zu herrschen.
De Broglie, der schlafende König, entstammt fernen Zeiten, als es auf der Welt noch kein Eis gab und die Sonne hell am Himmel stand.
Ich, Jürg Mötzü, habe am heutigen Tag den Stand des Hohepriesters von meinem Vater übernommen und erfülle die von ihm eingeführte Tradition, Vader zu melden, dass ich fortan den Orden der Broglianer leiten werde. Wie mein Vater vor mir zweifle auch ich nicht daran, dass der schlafende König meine Worte vernimmt und der Blick seines inneren Auges mit Wohlgefallen auf mir ruht.
Die Entwicklung unseres Ordens ist rasch voran geschritten, da auch viele andere gern bereit sind, an unserer Stärke teilzuhaben. Wir haben die besten Waffen und genügend zu essen; der Kühlraum ist immer voll, und nur in äußersten Notzeiten greifen wir auf die Kisten und Kästen zurück, die De Broglie für den
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