008 - Der schlafende König
eingedrungen waren.
»Maddrax!« rief Aruula plötzlich. »Schau!« Sie stand vor einem milchigen Glasblock. Er stand aufrecht am hinteren Ende des Raumes und maß etwa drei Meter in der Höhe und einen Meter im Durchmesser. Aruulas ausgestreckter Arm deutete darauf; ihr Gesicht zeigte Schock und Entsetzen. Matt eilte sofort zu ihr hin, um sich den Grund für ihr Erschrecken anzusehen.
Als er vor dem zylinderförmigen Block stand, entsprach seine Reaktion der Aruulas. Denn es war kein Milchglas, sondern klares,' von außen beschlagenes Glas. Dahinter waren die diffusen Konturen eines Menschen mit geschlossenen Augen zu erkennen. Er war etwa vierzig Jahre alt, trug eine Glatze und entsprach auch sonst in seiner ganzen Physiognomie der Gravur des in der Steppe gefundenen Helms und der nicht weit entfernten Statue.
»Der schlafende König«, sagte Matt leise. Aruula schaute ihn verdutzt an. »Warum wacht er nicht auf?«
Matt schaute sich um. Erst jetzt erkannte er, dass der Zylinder, in dem der Schlafende ruhte, durch allerlei Kabel mit der autarken Energiequelle verbunden war.
Ein kryogenischer Tank? Er hatte schon in seiner Kindheit gehört, dass es Tüftler gab, die an Maschinen arbeiteten, mit denen man Menschen einfrieren und viel später wieder zum Leben erwecken konnte etwa dann, wenn die tödliche Krankheit, an der sie litten, heilbar geworden war. Immer wieder waren Gerüchte durch die Presse gegeistert, es sei diesem oder jenem Erfinder gelungen, eine solche Maschine zu bauen. Doch er hatte diese Meldungen ebenso wenig ernst genommen wie die alljährlich verbreitete Nachricht über die Entdeckung eines Planeten hinter der Plutokreisbahn.
Das Gesicht des Schlafenden war blass. Um seine Lippen spielte ein geheimnisvolles Lächeln. Aber er wirkte nicht im Geringsten tot.
»Warum wacht er nicht auf?« wiederholte Aruula.
»Er schläft sehr tief, Aruula…« Matt umkreiste mit gerunzelter Stirn den Glastank. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Wer war der Mann? Wie hatte er die Jahrhunderte nach der Katastrophe überstanden?
Er beugte sich vor, wischte über das beschlagene Glas und musterte das Gesicht in allen Einzelheiten. Es war nicht leicht sich vorzustellen, wie der Mann mit offenen Augen und gesünderer Hautfarbe aussah. Aber er kam ihm irgendwie bekannt vor.
Und als draußen die Garde des schlafenden Königs in ihrer Frustration zu einem entsetzlichen Heulen und Kreischen ansetzte, das nur bedeuten konnte, dass sie den verfluchten Eindringlingen die Beulenpest an den Hals wünschten, fiel es Matt endlich ein.
Claude De Broglie! Der exzentrische kanadische Milliardär! Er kannte ihn aus dem Fernsehen und der Presse. Er war kurz nach der Jahrtausendwende prominent geworden, weil er den Irrsinnsplänen zahlloser Scharlatane aufgesessen war. Er hatte einen Teil seines ererbten Vermögens in utopische Projekte wie den »Gedankenleseautomaten«, die »stets willige Androidenfrau« und die hanebüchensten
»interstellaren Raumschiffantriebe« gesteckt und war dabei stets auf die Nase gefallen.
Doch offenbar hatte De Broglie einmal im Leben den richtigen Riecher gehabt. Am Fuß des Zylinders stand in erhabenen Messingbuchstaben: Otto Fortensky DeepFreezer l Der Erfinder Fortensky hatte, wie Matt wusste, in der Klapsmühle geendet. Offenbar hatte er De Broglie zuvor noch den Prototypen seiner Gefriermaschine verkauft.
»Kannst du ihn wecken?« fragte Aruula.
Matt zuckte zusammen. »Was?« Er schaute sie an. »Ich weiß nicht. Warum sollte ich?«
»Der schlafende König«, sagte Aruula entwaffnend logisch, »hat Macht über seine Untertanen und kann sie bewegen, uns gehen zu lassen.«
»Keine schlechte Idee.« Und wenn er längst tot ist? dachte Matt. Wenn Fortenskys DeepFreezer seine Leiche nur am Verfall hindert? Angenommen ich taue ihn auf und er zerfließt zu organischem Matsch… wie erkläre ich das dann seinen Jüngern?
Andererseits war Aruulas Theorie nicht von der Hand zu weisen. Hier hatten sie zwar Nahrung in Hülle und Fülle und diese Räumlichkeiten boten auch einigen Luxus, aber ihm stand eigentlich nicht der Sinn danach, den Rest seiner Tage in einem wohltemperierten Keller zu verbringen. Wenn De Broglie noch lebte, würde er ihnen helfen. Er kannte die örtlichen Gegebenheiten und wurde von den Verteidigern des Hauses als Gott verehrt.
Matt, presste die Lippen aufeinander und trat an den Bildschirm heran. Er streckte die rechte Hand aus und tippte auf die LCD-Mattscheibe.
Der
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