008 - Der schlafende König
eine Art Gott…«
»König?« fragte De Broglie. »Gott?« Die Vorstellung gefiel ihm; Matt sah es ihm an den Augen an. Er bereute sofort, De Broglie auf seinen neuen Status hingewiesen zu haben.
»Nun, Gott es vielleicht etwas übertrieben«, sagte er abwiegelnd und leider wenig überzeugend.
De Broglie humpelte mit Riesensätzen durch den Raum, passierte die Tür und den sich daran anschließenden Gang mit den gestapelten Kisten und öffnete die Eingangstür zum Bunker, so dass ihm die ersten sechs seiner Jünger geradewegs vor auf die Nase fielen.
Matt und Aruula, die nach der ersten Schrecksekunde mit gezücktem Schwert und erhobener Beretta hinter ihm her gehetzt waren, standen zwei Schritte hinter ihm was einen sehr schlechten Eindruck auf die nächsten sechs Behelmten machte, die offenen Mundes ihren König und Abgott anstarrten.
***
Als Matt die Augen öffnete, schlug der Schmerz unbarmherzig zu. Seine Hand fuhr instinktiv zum Schädel, aber die unbedachte Bewegung führte nur dazu, dass er noch lauter stöhnte. Ihm war speiübel. Hinter seinem rechten Ohr tobte prickelnde Pein.
»Comdo?« Aruula hockte neben ihm.
»Scheußlich«, erwiderte Matt. Dann fiel ihm alles wieder ein: die auf sie zufliegenden Gardisten, ihre Fäuste, der harte Knüppel, der auf seinen armen Kopf geknallt war. Er hatte die Beretta verloren! Sie musste zwischen die Kisten und Kästen gerutscht sein. Er erinnerte sich an De Broglies schadenfrohes Kichern und den rasend schnell näher kommenden Steinfußboden. Und als er benommen dagelegen hatte, hatte der harte Stiefel eines Broglianers seinen Kopf wie einen Fußball behandelt.
Matt schaute sich um. Es war dunkel. Durch ein schmales Fenster fiel fahles Licht zu ihm herab. Er stöhnte erneut. Das Fenster war vergittert. Na prima… Er erblickte einen Ausschnitt des dunklen Himmels und viele helle Punkte, von denen er annahm, dass es Sterne waren.
***
»Wo sind wir?«
»Hoch oben«, sagte Aruula nur.
Matt nahm vorsichtig eine sitzende Stellung ein und musterte die Umgebung. Man hatte sie eingesperrt, aber zum Glück nicht in einen muffigen Keller. Der Raum war nicht möbliert, die Wände kahl, die Tür aus festem braunen Holz. Sie wirkte recht neu, war wohl irgendwann in den letzten Jahrzehnten geschreinert worden. Klinke und Schloss wirkten primitiv, als hätte eine ungelenke Hand sich an einem Nachbau versucht. Man konnte den Mechanismus vermutlich mit einer verbogenen Haarnadel knacken. Aber Aruula trug das blauschwarze Haar offen und Haarnadeln waren in diesen Zeiten so selten wie Bidets.
Die Barbarin half Matt auf die Beine. Er schleppte sich ans Fenster und schaute hinaus.
Sie befanden sich in einem Turmzimmer an der linken Frontseite der Villa. Matt warf einen Blick auf das unter ihm liegende Grundstück und entdeckte huschende Schatten, die hinter der Mauer das Grundstück bewachten. Am Waldrand, wo sich die Guule verschanzt hatten, rührte sich derzeit nichts. Er nahm an, dass sie sich zurückgezogen hatten, um ihre Wunden zu lecken und ihre Toten zu begraben falls sie sie nicht fraßen. Er beobachtete die Umgebung eine ganze Weile, doch die Belagerer rührten sich nicht. Waren sie wirklich abmarschiert?
Matt fragte sich, wie De Broglie mit der für ihn völlig unerwarteten Lage zurechtkam. Konnte er sich überhaupt mit den Ordensbrüdern verständigen? Er selbst hatte nach dem Absturz geraume Zeit gebraucht, um den merkwürdigen Dialekt der Horde zu verstehen, in deren Reihen er Aruula getroffen hatte. Vermutlich hatte er es nur ihrer telepathischen Begabung zu verdanken, dass er sich heute nicht mehr wie ein Nepalese unter Finnen vorkam. Sie hatte ihn die Sprache der Wandernden Völker gelehrt.
Die Sprache der am See lebenden Suizzani erinnerte ihn an ein irgendwie knubbeliges Deutsch mit einer Prise Angina. Dann fiel ihm ein, dass De Broglie zwar Kanadier, aber im franzosischsprachigen Teil der Schweiz zur Welt gekommen war. Neben den Niederländern und Skandinaviern waren auch die Schweizer dafür bekannt, dass sie im Durchschnitt drei bis vier Sprachen beherrschten. Wahrscheinlich verstand er den hiesigen Dialekt ganz gut.
Matt tastete seine Taschen ab. Man hatte ihn gründlich gefilzt. Von seiner Ausrüstung war ihm nichts geblieben.
»Wir sind ganz schön in den Arsch gekniffen«, seufzte er.
Aruula musterte ihn verständnislos. Es fiel ihr noch schwer, Zoten zu verstehen.
»Die Typen sind nicht die, für die ich sie gehalten habe«, sagte Matt.
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