008 - Im Bann der Hexe
verstanden und den Mut gefunden hatte, noch einen Versuch zu wagen.
Im Frühsommer wusste Beth, dass sie wieder schwanger war, und sie dachte an die vier Elstern in der Teetasse.
Sie machte lange Spaziergänge im Wald, pflückte Blumen und hörte zu, wie die Eichhörnchen sich zankten. Wie schön das alles für ein Kind sein würde! Der Baum dort war ideal zum Klettern, und die Zeder, deren Äste fast bis auf den Boden reichten, bot ein wunderbares Versteck oder konnte auch als Puppenhaus dienen.
Der kurze Sommer war rasch vorbei, und obgleich Beth sich etwas vor der Kälte fürchtete, war sie froh, dass die Zeit verging und die Geburt näher rückte. Ihr Körper wurde schwer und unförmig, und nachts hörte sie die Herbststürme ums Haus pfeifen, wenn sie sich schlaflos neben Peter hin und her warf. Oft döste sie nur gelegentlich ein, und in den kurzen Schlafpausen wurde sie auch noch von schweren Träumen geplagt.
Als sie das erste Mal durch das Weinen geweckt wurde, dachte sie, es wären die Äste der großen Ulme, die gegen das Dach schlugen.
Später, als sie es immer wieder hörte, klang es wie das Weinen eines Kindes. Schließlich wurde das herzzerreißende Schluchzen so aufdringlich, dass sie glaubte, es im Wachen und im Schlafen zu hören. Jemand schien sie zu rufen.
Eines Nachts konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie erhob sich schwerfällig und schlich in den Korridor hinaus. Das Weinen schien jetzt wieder weiter entfernt zu sein. Kam es aus dem Kinderzimmer? Weinten dort die halbfertigen Seelen der Kinder, die nie geboren worden waren? Sie öffnete die Tür und sah die Umrisse der leeren Wiege im schwachen Lichtschein, der durch das Fenster fiel. Kein Lüftchen rührte sich. Die Schluchzer in weiter Ferne waren kaum hörbar.
Und dann wusste sie auf einmal, wohin sie gehen musste. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht? Sie lief zur Treppe. Das Schluchzen verstärkte sich. Ihr Herz klopfte wie wild.
Sie war die ersten Stufen hinaufgestiegen, als jemand sie zurückhielt.
„Beth!“
„Lass mich los! Ich muss zu unserem Kind!“
„Aber Beth, unser Kind ist doch noch gar nicht geboren!“
„Ich habe es weinen hören!“
„Es ist ganz still, so hör doch!“
Sie sah in sein erschrockenes blasses Gesicht, während er die Arme um ihren geschwollenen Leib geschlungen hatte.
Vorsichtig holte er sie herunter.
„Wenn ich dich nicht plötzlich vermisst hätte …“ Er zitterte am ganzen Körper. „Morgen werde ich den Arzt bitten, dir etwas zum Schlafen zu geben.“
Den Rest der Nacht verbrachten sie eingeschlossen. Peter hielt den Schlüssel zur Tür fest in der Hand.
Am nächsten Morgen besuchte Beth Mrs. Richards. Es war ein klarer, kalter Tag. Sie fand die Frau in eine Decke gewickelt in einem großen Sessel am Feuer sitzend. Beth erkundigte sich nach ihrem Befinden.
„Die alten Knochen frieren nur“, war die Antwort. „Aber wie fühlen Sie sich denn?“
Beth lachte. „Ausgezeichnet!“
Dann erbot sie sich, eine Suppe und ein paar Sandwichs für sie beide zum Lunch zu machen. Als sie mit dem Tablett zum Feuer zurückkam, setzte Mrs. Richards ihre Brille auf und musterte sie eingehend.
„So kann ich Sie besser sehen. Wie ich gedacht habe – da stimmt doch etwas nicht.“
„Es ist wirklich nichts.“
Beth bekam einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen, der ihr sagte, dass sie bei ihrer alten Freundin mit solchen Ausreden nicht durchkam.
„Ich schlafe nicht sehr gut“, gab sie schließlich zu. „Das ist alles. Aber ich nehme an, dass das nicht sehr ungewöhnlich ist bei meinem Zustand.“
„Sind Sie sicher, dass es nicht noch etwas anderes gibt?“
„Nun ja, diesen Traum, den ich immer wieder habe. Ich höre ein Kind weinen, und das beunruhigt mich.“
Mrs. Richards kniff die Augen zusammen. „Ein Kind weinen? Sehen Sie es auch manchmal?“
„Nein, ich weiß nicht einmal, was für ein Kind es ist, aber ich habe das Gefühl, es ruft mich. Letzte Nacht bin ich tatsächlich im Schlaf aufgestanden, um es zu suchen, und ich wäre wohl gestürzt, wenn Peter mir nicht nachgegangen wäre.“
„Es muss ein sehr lebhafter Traum sein. Wo wollten Sie denn nachsehen? Im Kinderzimmer?“
„Ja, als erstes. Aber dann wollte ich auf den Dachboden. Ich war schon auf der alten baufälligen Treppe. Was für eine absurde Idee! Ein kleines Kind auf dem Dachboden zu suchen!“
Mrs. Richards sah so besorgt aus, dass Beth hastig weiterredete.
„Es wird nicht wieder
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