0080 - Augen des Grauens
Beruhigend fühlte sich der Druck des geweihten Silberkreuzes auf meiner Brust an. Vor Angriffen aus der anderen Welt war ich also geschützt.
Plötzlich hörte ich das Weinen.
Dünn drang es an meine Ohren, und es war auch nicht im Innern des Hauses aufgeklungen, sondern draußen.
Ich drehte mich herum.
Mein Blick durchbrach die Fensterscheibe, ich schaute in den Garten und hatte das Gefühl, mein Herzschlag würde aussetzen.
Draußen erkannte ich den kleinen Johnny.
Doch er war nicht allein.
Unmittelbar in seiner Nähe befand sich eine makabre Gestalt. Ein Henker in roter Kutte. Er hielt sein Schwert erhoben, und es sah so aus, als würde er jeden Augenblick zuschlagen und das Kind töten.
Wie ein Stromstoß fuhr es durch meinen Körper. In den nächsten Sekunden handelte ich automatisch, ohne daß meine Reaktion bewußt vom Gehirn gesteuert wurde.
Meine rechte Hand glitt nach unten, neben das Bett. Ich packte meinen Schuh, riß den Arm hoch und hämmerte den Schuh gegen die Fensterscheibe.
Krachend und klirrend zersprang sie in tausend Teile. Scherbenecken blieben an den Kittstellen hängen. Sie sahen aus wie lange, funkelnde. Lanzen.
Für mich aber war das Loch groß genug. Praktisch vom Bett aus hechtete ich durch die Scheibe nach draußen, kam gut auf, rollte mich einmal um die eigene Achse und stand.
Der rote Henker hatte das Splittern der Scheibe vernommen. Er ließ von dem kleinen Johnny ab und wandte sich um.
Gleichzeitig flammte hinter den anderen Fenstern Licht auf Jane und Bill waren erwacht, aber darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern.
Mich interessierte dieser Henker.
Rot war seine Kutte, und die Schneide des Schwertes glänzte im herabfallenden Mondlicht.
Er hatte sich mir zugedreht. Von seinem Gesicht sah ich nichts. Nicht einmal die Augen konnte ich hinter den Schlitzen erkennen.
Ich hörte Bill schreien. »Johnny Johnny, komm zurück!«
Eine Waffe krachte. Am dünnen Klang des Schusses erkannte ich Janes Astra. Die Detektivin traf auch, doch die Kugeln jagten durch die Gestalt des roten Henkers hindurch.
Er war gegen normale Bleigeschosse unempfindlich. Außerdem war seine Gestalt nicht existent, das heißt, sie besaß keinen feststofflichen Körper.
Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, daß Bill Conolly aus dem Fenster sprang. Der Reporter lief zu seinem Sohn, riß ihn vom Dreirad hoch und rannte mit ihm aus der unmittelbaren Gefahrenzone.
Jane Collins schoß nicht mehr. Sie hatte eingesehen, daß es Munitionsverschwendung war, wenn sie weiterhin auf die Gestalt feuerte.
Ich aber stellte mich dem Henker.
Er schien zu spüren, daß wir wohl zwei ebenbürtige Gegner waren, denn er griff nicht sofort an.
»Wer bist du?« fragte ich ihn. Auch ich zögerte, ihn zu attackieren. Ich wollte Informationen von ihm, mehr über ihn wissen, wo er herkam, was er wollte.
Er bewegte seinen rechten Arm, und die Schwertspitze wies genau auf meine Brust.
»Ich bin Destero!« sagte er.
»Woher kommst du?« Den Namen Destero hatte ich noch nie gehört. Auch nicht in Verbindung mit dem Schwarzen Tod, dem Spuk oder Myxin, dem Magier.
»Ich bin der Dämonenhenker. Wo ich auftauche, rollen Köpfe. Warum hast du mich gerufen?«
»Ich habe dich nicht gerufen«, erwiderte ich.
»Aber du hast das Auge.«
»Das stimmt«, gab ich zu.
»Also wolltest du was von mir. Wo sind deine Feinde?«
»Ich habe keine!«
»Und die anderen?«
»Es sind Freunde von mir.«
Die Horrorgestalt war Irritiert Ich aber überlegte fieberhaft. Ein Teil des Rätsels war schon gelöst. Es hing mit dem Auge zusammen. Wer es besaß, der stellte sich automatisch unter den Schutz dieses roten Henkers.
»Da dir das Auge nicht gehört, bist du mein Feind«, erklärte der rote Henker. »Und deshalb muß Ich dich töten!« Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als er auch schon vorging und seitlich mit dem Schwert zuschlug.
Ich war waffenlos und nur mit einem Unterhemd und der langen Hose bekleidet. Meine Beretta befand sich innerhalb des Hauses. Zeit, sie zu holen, blieb mir nicht mehr, so mußte ich mich mit bloßen Fäusten gegen Destero verteidigen.
Aber schutzlos war ich nicht.
Ich besaß noch mein Kreuz.
Als der Henker mich angriff, riß ich das Kreuz hoch und rief einen weißmagischen Bannspruch.
Das Schwert fuhr schon auf mich nieder, doch dann tat der Gegenzauber seine Wirkung.
Mitten im Schlag wurde die Klinge gebremst.
Plötzlich barst sie auseinander, zerfiel in zwei Hälften, die zu brennen
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