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0084 - Er starb an meiner Stelle

0084 - Er starb an meiner Stelle

Titel: 0084 - Er starb an meiner Stelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Er starb an meiner Stelle
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Lösung. Man würde ja sehen, was aus der Geschichte wurde…
    Er dachte es, weil er zuviel Whisky auf nüchterner! Magen getrunken hatte. Sonst war es keineswegs seine Art, die Dinge einfach laufenzulassen.
    Mit etwas unsicheren Schritten ging er den Bürgersteig entlang. Er hatte sein Büro nur zwei Häuserblocks von seinem Wohnhaus entfernt, und der Arzt hatte ihm dringend angeraten, für etwas Bewegung zu sorgen. Seither verzichtete er für den kurzen Weg auf den Wagen.
    Ganz in Gedanken, hörte er, wie hinter ihm eine helle Mädchenstimme ungeduldig: »Daddy! Daddy!« rief.
    Rein instinktmäßig drehte er sich um. Er blieb stehen, als hätte ihn eine unsichtbare Faust angehalten.
    »Daddy!« sagte ein vielleicht dreijähriges Mädchen mit einem hübschen Lockenköpfchen und zerrte an der Hand ihres Vaters. »Daddy, nun bleib doch mal stehen und sieh den schönen Hund an! Ist er nicht hübsch, Daddy?«
    Der Mann neigte den Kopf und sagte leise: »O ja, sehr hübsch, Rose, wirklich, sehr hübsch. Aber du darfst auf der Straße nicht so laut schreien. Die meisten Menschen sind so mit sich selbst beschäftigt, daß du sie erschrecken wirst, wenn du plötzlich so laut schreist…«
    Das Mädchen sagte noch etwas. Aber Bill Mackfield hörte es schon gar nicht mehr. Er salvnur auf den Kopf des Mannes. Und es war, als würge etwas tief in seiner Brust.
    Der Mann konnte den Hund gar nicht sehen. Er war blind.
    Mackfield fühlte, wie ihm wieder schwindlig wurde. Was für ein entzückendes Kind er hat, dachte etwas dumpf in ihm. Und er kann es nicht sehen. Bis in alle Ewigkeit hinein ist Nacht vor seinen Augen.
    Unwillkürlich schloß er die Augen. Wie ist das, dachte er, wie ist das, wenn man blind ist? Er setzte mit geschlossenen Augen zögernd den Fuß vor. Es war, als trete man ins absolut Ungewisse. Und dabei war er doch diese kurze Straße schon hundert- und tausendmal gegangen.
    Kam hier nicht die Laterne? War er schon bei Millers Drugstore? Dann mußte er aufpassen, da war doch diese Unebenheit im Bürgersteig. Schon nach dem dritten Schritt hielt er es nicht mehr aus und öffnete die Augen.
    Hell wie der strahlende Morgen fiel das Sonnenlicht auf seine gesunden Pupillen. Der Himmel war azurblau, und keine Wolke hing über den Dächern. Eilige Menschen hasteten durch die Straßen.
    Chrom und Lack in allen Farben glänzte an den unzähligen Autos, die wie auf Gummisohlen vorbeihuschten. Ein Sperling hockte keck auf einem Leitungsdraht und wippte kokett mit seinem gefiederten Körperchen.
    Mein Gott, dachte Mackfield, sehe ich denn die Welt zum erstenmal? War der Himmel denn jedes Jahr so blau? Die Autos so bunt? Jede Kleinigkeit so liebenswert, weil sie ein Teil seines Lebens war — und weil er sie sehen konnte? Er drehte sich langsam um.
    Der Blinde war nicht mehr zu sehen. Aber noch immer klang fern und mahnend in seinen Ohren: »Daddy, sieh doch mal!«
    Sehen. Ein Mann sollte einen Hund ansehen, den er gar nicht sehen konnte. Vielleicht hatte der Mann dem Mädchen noch nicht gesagt, daß er nichts mehr sehen konnte. Das Mädchen war ja auch noch so jung. Man soll Kinder nicht belasten. Wer weiß, wie das Mädchen vielleicht erschrocken wäre. Vielleicht hätte es den Vater gar nicht verstanden, wenn er gesagt hätte: Ich kann dich nicht sehen, Liebling, ich kann überhaupt nichts sehen. Denn ich bin blind. Ich bin einer aus der großen Schar der Blinden, aus der Schar derer, die in ewiger Nacht leben müssen…
    Mackfield schluckte.
    Eine Million! dachte er. Ich schreie, wiel ich eine Million loswerden soll. Wenn Gott mich jetzt fragte, wieviel mir mein Augenlicht wert wäre? Gütiger Herr im Himmel, der du mich vor so einem Schicksal bewahrt hast! Wenn ich daran dächte, daß ich nie wieder Lydias liebes Gesicht sehen sollte, daß ich den Sperling da unterhalb dieses sanften Himmels nicht sehen könnte… Herr, ich würde sagen: nimm alles! Laß mir das Licht meiner Augen.
    Plötzlich kam Leben in seine versunkene Gestalt. Auf den Absätzen machte er kehrt. Eilig wie noch nie lief er zurück zu seinem Büro.
    Er nahm sich nicht einmal Zeit, den Hut abzunehmen. Hastig stürzte er sich ans Telefon. Mit fliegenden Fingern wählte er eine Nummer. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte. Da, endlich!
    »Hallo, William!« rief er. »Hier ist Bill. Hör zu, Will, es ist dringend: Verkauf meine Anteile an den Pennsylvania-Minen!«
    »Deine Anteile…?«
    »Ja! Ich sage es doch! Wirst du sie

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