0085 - Der Feuergötze
karthagischen Männer und Frauen sagte ein Wort.
Der Priester mit dem asketischen Gesicht trat vor. Mit einer herrischen Geste bedeutete er dem zweiten Mann, der vorhin mit ihm im Felseneingang gestanden hatte, zu ihm zu kommen. Er sagte etwas, wozu der andere nickte.
Panik erfaßte Chedli, als sich die beiden zu ihm niederbeugten und ihn wieder hochzerrten. Sie trugen ihn zu einer kleinen Treppe, die zu der Götzengestalt hochführte, schritten mit ihm die Treppe hoch.
Chedli sah die riesigen Hände der Statue. Sie waren geformt wie eine… Opferschale.
Sie sahen nicht nur so aus wie eine Opferschale, sondern verkörperten wirklich eine solche. Chedli schrie gellend auf, als ihm das unmißverständlich klar wurde.
Nutzlos verhallte sein Schrei. Unbarmherzig warfen ihn die höllischen Priester in die Mulde der Götzenhände. Dann stiegen sie die Treppe wieder hinunter.
Chedli war dem Wahnsinn nahe. Er wußte jetzt, was ihn erwartete. Aus den Geschichtsbüchern kannte er den Baalkult. Feueropfer spielten in ihm eine schaurige Hauptrolle.
Und genau unterhalb der Hände des Götzen loderten die Flammen! Er konnte ihre feurigen Zungen sehen, die gierig auf- und niederzuckten.
Wieder schrie er aus vollster Lunge. Aber er machte sich eigentlich keine Hoffnungen, gehört zu werden. Dieser unselige Tempel lag mehrere hundert Meter von der Villa entfernt. Bis dorthin konnten seine Schreie unter gar keinen Umständen dringen. Und in diesem Teil des Gartens hielt sich auch kaum jemals irgend jemand auf.
Er war verloren, rettungslos verloren!
Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, daß sich der asketische Priester inzwischen vor dem Götzen in Positur gestellt hatte und an ihm hochblickte.
Der Mann sprach mit lauter Stimme, sprach zu seinem verfluchten Götteridol. Beschwörend, ehrerbietig, bittend…
Dann hörte er auf zu sprechen, stand nur da und wartete.
Auch die anderen warteten, die Priester, die Priesterinnen.
Chedli starrte wie gebannt auf die züngelnden Flammen. Dabei bemühte er sich mannhaft, das mörderische Brennen seines Oberschenkels zu ignorieren. Dies gelang ihm jedoch nicht. Der Schmerz wurde immer stärker. Er hatte das Gefühl, daß die Flammen dort unten sein Bein bereits erreicht hatten, daß es bereits im Begriff war, langsam zu verkohlen.
Dann aber machte er eine erstaunliche Entdeckung. Die Flammen unter ihm wurden schwächer, züngelten nicht mehr so hoch, leuchteten auch nicht mehr so intensiv.
Ein Gedanke durchfuhr ihn.
Das Amulett!
Schützte es ihn? Hielt es den feurigen Tod von ihm ab? Brannte es deshalb so furchtbar auf seiner Haut?
Neue Hoffnung durchströmte ihn. Das Amulett hatte den magischen Geröllvorhang gesprengt. Vielleicht würde es abermals einen Sieg davontragen.
Es sah ganz danach aus!
Deutlich spürte Chedli, daß die Götzenpriester unruhig wurden. Gemurmel drang an seine Ohren, Füße scharrten über die Marmorplatten.
Er hatte das Gesicht des asketischen Priesters genau im Blickfeld. Ja, kein Zweifel! Die Enttäuschung drückte seinem Gesicht ihren Stempel auf.
Mehrere ereignislose Minuten vergingen. Fast ereignislose Minuten. Es geschah doch etwas: Die Flammen unter ihm verkümmerten immer mehr.
Schließlich gab der Asketische seine Warteposition auf. Er sagte etwas zu seinen Leuten. Enttäuschung auch in seiner Stimme. Anschließend trat wieder der zweite Priester an seine Seite.
Chedli frohlockte innerlich. Die beiden kamen die Treppe wieder hinauf, griffen nach ihm, zerrten ihn aus den Händen des Bronzegötzen. Dann trugen sie ihn wieder nach unten und ließen ihn wie angewidert fallen.
Abermals schlug Chedli hart auf. Aber das machte ihm jetzt gar nichts aus. Zu groß war seine Erleichterung, noch einmal davongekommen zu sein. Für den Augenblick jedenfalls.
Der Mücke Glück ist des Wurms Unglück. Dieser weise Spruch des Propheten bewahrheitete sich auch hier.
Die unseligen Priester wandten sich jetzt Djamaa zu. Wollten sie ihn jetzt an Chedlis Stelle in die Opfermulde schleppen?
Genau das taten sie. Djamaa wurde gepackt, die Treppe hochgetragen, in die Hände des Götzen geworfen. Die beiden Priester verließen die Treppe wieder. Der Asketische stellte sich abermals vor seinem Idol in Positur.
Chedli hielt den Atem an. Die Flammen zu Füßen der Baalsfigur, die schon fast erloschen waren, züngelten wieder höher. Und ihre Leuchtkraft nahm stetig zu. Ein schwefliges Gelb bildete sich heran, ein blutiges Rot, ein giftiges Blau…
Die Priester
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