0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Platz. Die Wagentüren schlugen zu.
»Ich möchte nicht neugierig erscheinen«, meinte der Inder und drückte den Hebel des automatischen Getriebes nach vorne. Sanft rollte der schwere Wagen an. Die Seitenscheibe rutschte wieder hoch, und aus versteckten Düsen strömte herrlich kühle Luft. »Aber was führt Sie nach Nagpur? Sind Sie vielleicht Textil-Einkäufer?«
Zamorra glaubte, einen spöttischen Unterton aus der Stimme herauszuhören. Modjir Brahmul Al Fujieb hielt ihn nie und nimmer für einen Kaufmann. Seinem gepflegten Englisch nach hatte er auf der britischen Insel studiert. Alt war er auch noch nicht. Mitte Dreißig etwa. Es konnte durchaus sein, daß er den. Namen Zamorra schon mal gehört hatte. Der Professor war eine Kapazität auf dem Gebiet der Parapsychologie und der Dämonologie. Wer sich auch nur am Rande mit diesen beiden Wissensgebieten beschäftigt hatte, mußte zwangsläufig auch auf Professor Zamorra gestoßen sein.
»Nein«, antwortete Zamorra. »Mit der Textilbranche haben wir nichts zu tun.« Und einer plötzlichen Eingebung folgend fügte er hinzu: »Wir interessieren uns mehr für Archäologie. Eigentlich wollten wir nach Chhinwara. Es soll ein sehr interessantes Mausoleum dort geben. Vielleicht kennen Sie es. Man sagte mir, bei der Bevölkerung hier wäre es als Satansgrab bekannt.«
Der Inder ging beinahe unmerklich vom Gas. Er hatte von diesem Grabmal also auch schon gehört. Sein anschließendes Lachen klang gekünstelt.
»Archäologen sind Sie? Sie werden enttäuscht sein. Das sogenannte Satansgrab ist nichts als ein alter Steinhaufen. Kunsthistorisch in keiner Weise wertvoll. Wenn es wirklich einmal etwas Wertvolles dort gab, so haben es die Briten mitgenommen. Sie wollen tatsächlich dorthin?«
»Sicher. Können Sie mir sagen, wie ich nach Chhinwara komme? Die Busse dorthin schienen mir nicht sehr vertrauenerweckend zu sein.«
»Ich würde sie auch nicht benutzen«, meinte der Inder. »Aber wenn Sie sich ein wenig gedulden, können Sie mit mir fahren. Ich wohne in Chhinwara. Mein Urgroßvater war noch Maharadscha dort. Die Zeiten haben sich geändert.«
Die Besitzverhältnisse nicht, dachte der Professor bei sich. Bestimmt besaß Modjir Brahmul den einzigen Cadillac im Umkreis von mehreren hundert Kilometern.
»Wir nehmen Ihre Einladung gerne an«, antwortete Zamorra. Das Medaillon an seiner Brust begann plötzlich wieder warm zu werden.
***
Wenn Modjir Brahmul Al Fujieb behauptet hatte, das vergessene Grabmal wäre nur mehr ein Steinhaufen, dann hatte er zum Teil schon recht damit. Grabräuber hatten die Stätte heimgesucht. Wind und Wetter hatten ein übriges getan. Westlich von Sarasia, einer armseligen Ansiedlung mit vielleicht sechzig Hütten, ragten Felshügel auf. Einer von ihnen war etwas höher als die anderen.
Der Glanz der Abendsonne hüllte ihn in Purpur. Sadhu Shandri spürte in sich, daß er ganz nahe war.
Rudrasvin hatte ihm die Seligkeit versprochen, das Ausgelöschtsein, die Auflösung seines Geistes im Nichts, im Nirwana. Die höchste Stufe des Glücks im Denken jedes Hindus.
Sadhu Shandri füllte seine Lunge mit der heißen, trockenen Luft über der sandigen Steppe. Die Sonne ging unter. Die Ruine des Grabmals warf lange Schatten, die sich wie dunkle Tücher auf Sadhu Shandri und Rayanagu legten.
Sie waren gestern angekommen. Mit dem Bus. Sie hatten nur wenig geschlafen und waren im Morgengrauen losmarschiert. Jetzt waren sie am Ziel.
»Grab des Himmels«, murmelte Sadhu Shandri andächtig, als er sich den Mauerresten näjherte. Seine Augen brannten fanatisch im Widerglanz der farbig angestrahlten Wolkenbänke im Westen, die wie unwirklich strahlende, zerfaserte Wattestreifen über dem Hochland lagen. Eine trockene Brise brachte den scharfen Geruch von wilden Pfeffersträuchern mit.
Alles in Shandri jubelte. Er hatte es geschafft. Er hatte sein Ziel erreicht.
Rudrasvin erwartete ihn, um ihn zu belohnen. Er hatte die geforderten Opfer gebracht.
Mit traumwandlerischer Sicherheit ging er über die steinübersäte Ebene am Fuße des formlosen Hügels. Ihm war, als wäre er diesen Weg schon Tausende von Malen gegangen. Alles kam ihm so vertraut vor. So als würde er zurückkehren an die Stätte seiner Kindheit. Leichtfüßig schritt er aus. Rayanagu hatte Mühe, ihm zu folgen.
Er stolperte tolpatschig hinter ihm her. Während Shandris Stirn trocken war, perlte auf Rayanagus Stirn der Schweiß. Hilflos ruderte er mit seinen Armstrünken, wenn sein
Weitere Kostenlose Bücher