0095 - Am Mittag vor dem großen Coup
Mittagspause die Chefsekretärin gefehlt. Der Chef schob es auf ein allgemeines Unwohlsein, was bei Frauen ja öfter einmal auftritt. Einige tuschelten heimlich über die aufregende Rundfunkmeldung und brachten sie in Zusammenhang mit dem plötzlichen Ausbleiben der Chefsekretärin, aber niemand wagte derlei kühne Behauptungen dem Chef vorzutragen. So nahm alles seinen Lauf.
Den Lauf, den die Gangster vorausberechnet hatten.
***
Mittwoch früh um acht Uhr saßen wir in unserem Office. Phil und ich waren wieder einmal gründlich ausgeschlafen, aber wir fühlten uns trotzdem nicht wohl in unserer Haut.
Unsere Gedanken kreisten immer wieder um das gleiche Problem: die Frau, von der wir keinen Namen wußten, keine Adresse und nichts sonst. Die Frau, die gestern mittag hätte ermordet werden sollen.
Hatten die Gangster ihren Plan ausgeführt?
Jedes Telefonklingeln ließ uns nervös hochfahren. Trotzdem geschah bis elf Uhr vormittags überhaupt nichts. Dann ratterte bei mir auf dem Schreibtisch wieder einmal das Telefon.
»Cotton«, sagte ich.
Die Stimme unseres Chefs drang an mein Ohr. Und selten habe ich sie so aufgeregt gehört.
»Jerry, kommen Sie sofort in mein Büro! Bringen Sie mir Phil mit! Ist Ihr Jaguar fahrbereit?«
»Sicher, Chef.«
»Gut, kommen Sie sofort.«
Ich warf den Hörer auf die Gabel.
»Los, Phil! Wir sollen schnell zum Chef!«
Er sprang auf.
»Ob es…?«
Ich zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung.«
Angefüllt von innerer Spannung, setzten wir uns in Marsch. Wir klopften und traten auch schon ein. Mr. High setzte sich gerade den Hut auf.
»Kommen Sie!« sagte er. »Wir müssen schnell zur States Union Bank. Wissen Sie den Weg?«
»Ja, Chef.«
»Dann los!«
Obgleich wir vor Spannung fast explodierten, fragten wir nichts. Aber ich sah dem Gesicht unseres Chefs an, daß etwas Ungewöhnliches passiert sein mußte.
»Sirene?« fragte ich, als wir in meinem Wagen saßen.
Der Chef zögerte eine Sekunde, dann nickte er.
»Kann nicht schaden.«
Ich schaltete die Polizeisirene ein, als wir langsam zur Ausfahrt hinausrollten. Gehorsam teilte sich der Verkehr und ließ uns die Mitte der Fahrbahn. Ich trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Mit hundertzehn Meilen raste ich durch die City.
Vor der States Union Bank standen sechs Wagen der Stadtpolizei. Eine Kette von sechzig uniformierten Cops sperrte den Zugang ab. Als wir mit heulender Sirene angezischt kamen, öffneten sie ihre Kette und ließen mich auf den Bürgersteig fahren.
Wir sprangen hinaus und hetzten die Stufen hinan. Zwei Cops rechts und links vom Eingang salutierten.
In der Halle herrschte ein bedrückendes Schweigen. An die fünfzig Bankangestellte saßen herum oder standen in Gruppen beieinander. Keiner von ihnen wagte in normaler Lautstärke zu sprechen. Sie flüsterten so leise miteinander, daß es wie in einem Stummfilm aussah.
Der Chef sah sich rasch um, dann eilte er auf eine Tür im Hintergrund zu, die halb offenstand und die Aufschrift trug: »Direktion, Anmeldung.«
Wir durchquerten ein Vorzimmer, in dem sechs Polizisten sich um eine weinende junge Dame bemühten. Die ledergepolsterten Doppeltüren zum Allerheiligsten standen offen.
Mitten auf dem Teppich lag der Direktor. In der Brust steckte noch ein Messer.
Achtzehn Männer der Mordkommision waren dabei, den ganzen Raum millimeterweise abzusuchen.
»Heute nacht passiert«, raunte uns Mr. High ins Ohr. »Das gleiche bei der New York Bank Inc. und der Trade Change. Beide Direktoren auch dort ermordet. In allen Fällen Messer.«
»Genau wie bei Billy«, setzte Phil hinzu.
»Und genau wie bei diesem alten Falschmünzer, dessen Ermordung die Stadtpolizei gestern meldete«, ergänzte ich. Mr. High sah mich überrascht an. »Tatsächlich, Jerry! Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Hm… Na, kommen Sie, wir wollen mal versuchen, ob wir ein paar Worte mit der jungen Dame wechseln können.«
Wir traten von der Schwelle zurück ins Vorzimmer. Mr. High stellte sich vor die junge Dame, die sich inzwischen ein wenig beruhigt hatte, aber noch manchmal verhalten schluchzte.
»Ich heiße John D. High«, sagte der Chef in seiner ruhigen, vornehmen Art.
»Ich bin Joan Arcentry«, stieß das Mädchen zwischen zwei Schluchzern aus.
»Schön, Miß Arcendry, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Würden Sie so liebenswürdig sein, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Aus den Augenwinkeln sah ich, daß sich fast alle Mitglieder der Mordkommission und alle
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