0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht
herumliegen ließ. Sie waren mir im Augenblick auch nebensächlich.
Ich stieg eine hochherrschaftliche und mit dicken Läufern belegte Treppe hinauf. Was ich suchte, waren die Räume der grünäugigen Susan. Ich fand sie schnell. Musikzimmer, Salon, Schlafzimmer, Ankleideraum, Baderaum.
Das Musikzimmer war blassblau, der Salon schneeweiß, das Schlafzimmer eine Symphonie in Gold, das Badezimmer schwarz gekachelt mit einer eingelassenen Wanne aus schwarzem Marmor, die mehr einem Schwimmbassin glich.
Ich fing vorne an. Zuerst das Musikzimmer. Flügel, Radio mit Plattenspieler, Fernsehschrank. Nichts von Belang. Dann kam der Salon an die Reihe. Die eine Wand war ganz aus Glas. Man sah nicht ein einziges Haus, nur Bäume und Parkwiesen.
Mein Blick fiel auf ein Bild an der Wand: das Marr-Mädchen. Es war beinahe abstrakt gemalt, in Farben, die dick auf die Leinwand gespachtelt waren. Von einem tief dunklen Hintergrund hob sich das weiße Antlitz ab. Vor allem die grünen Augen. Der blutrote Mund klaffte. Das Gesicht schien zu leben, ein merkwürdiges Etwas ging von ihm aus, hintergründig, leidenschaftlich, sphinxartig. Auch hier nichts, was mit hätte dienlich sein können.
Im Schlafzimmer blieb ich fassungslos stehen. Tapete, Seidenvorhänge, das antike Bett, wie eine große Muschel geformt, das Telefon daneben - alles in Gold. Unbeschreibliche Düfte stiegen aus den Flakons auf einem kleinen-Tisch mit dreiteiligem Spiegel.
Aber ich war Polizeimann, und ich begann die Haussuchung ohne Rücksicht auf die Atmosphäre, die mich umgab. Über das Spieltischchen war eine Handvoll Juwelen achtlos ausgeschüttet. Brillanten, Saphire, Smaragde, Perlen in allen möglichen Fassungen.
In dem dreiteiligen Spiegel sah ich, dass sich meine Mundwinkel verzogen hatten. Ich dachte nämlich daran, dass dieser so achtlos herumhegende Reichtum aus trüben Quellen stammte, aus den lichtscheuen Machenschaften eines alten Gangsters, der trotz seiner allbekannten »Geschäftstätigkeit« noch frei und unbehelligt herumlief, weil er auf Grund seines Geldes sich die teuersten Anwälte leisten konnte.
Auch in dem Schlafzimmer fand ich nichts. Sollte ich mich getäuscht haben? Blieb nur noch Ankleidezimmer und Bad.
In dem Ankleideraum öffnete ich die erste Tür der eingebauten Schränke. Aus den Regalen fielen Blusen, Röcke, Strümpfe, Halstücher, Handschuhe. Im nächsten Schrank begegnete mir ein gleißender Stapel von Wäsche aus hauchdünner Seide oder Nylon. Sorgsam untersuchte ich alles, ob etwas dazwischen verborgen war. Ich wollte schon kapitulieren, als ich mehr aus Neugierde auch noch den letzten Schrank öffnete. Unten Koffer, oben Handtaschen. Automatisch nahm ich jede Handtasche in die Finger und öffnete sie. Die zweitletzte fühlte sich an, als sei sie nicht leer.
Ich schob den vergoldeten Spiegel zurück - und stieß einen Seufzer der Befriedigung aus. Da hatte ich wenigstens etwas entdeckt; eine Zigarettendose mit Brillanten besetzt, eine prächtige 0.22er Pistole, den Griff mit Perlmutt eingelegt, eine Geldbörse aus rotem Saffian, eine kleine Flasche Parfüm - und einen Brief.
Ich faltete ihn auseinander und las:
L. Rr. Dass du einen minderwertigen Charakter hast, wusste ich schon längst. Ich habe mich damit abgefunden. Auch was mit dir und Susan los ist, habe ich längst gemerkt. Dass du aber so weit gehen würdest, habe ich nicht gedacht. Mit dir darüber zu sprechen, erspare ich mir, weil es ja doch keinen Zweck hat. Aber deiner Freundin werde ich es schon zeigen, wenn sie nicht vernünftig wird. Glaubt ja nicht, ich willige in eine Scheidung ein. Es ist gut, dass du dein Hauptbüro nach Chicago verlegst, weil ich dich nur noch ganz selten zu sehen gezwungen sein werde. Jetzt weiß ich auch, wie du mit dem alten Marr ins Geschäft kamst.
Jana.
Ich las den Brief drei- auch viermal. Dann schob ich ihn wieder in die Handtasche und legte sie an ihren Platz zurück. So ein elender Bursche, dieser Robert Harker. Flennt wie ein altes Weib, lügt im Brustton der Überzeugung und spielt mir das lustigste Theater vor.
Während ich den Rückweg antrat, fiel mir wieder der für Louisa gedachte Zettel auf dem Rokokoschreibtisch in der Villa-Ferret ein. Das Schreiben war nicht für Louisa, sondern für mich bestimmt. Ich sollte nicht die ganze Zeit bis 21 Uhr dableiben und auf Jana warten. Weil Susan ja noch gar nicht in New York weilte, musste ein anderer von dem Kommen eines FBI-Beamten gewusst haben. Und konnte das
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