0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht
sich nur denken kann; ich hebe den Washington Square mit seinem Triumphbogen, der die Fifth Avenue von Süden her einleitet, ich liebe genau so Greenwich Village mit seinen Montmartre-Aspekten, wie die Slums in der Lower East Side oder den seriösen Broadway, ich liebe die Schächte der Wallstreet, die nächtliche Graulandschaft der Wolkenkratzer mit dem Empire State Building, dem höchsten Gebäude der Welt, die gewaltigen Brücken und die Piers mit den Überseedampfern.
Aber etwas liebe ich nicht, die unzähligen Nepplokale. Ich bin Polizeimann. Und als solcher weiß ich, dass in diesen nächtlichen Amüsierbetrieben meistens jene krummen Sachen ausgeheckt werden, die wir wieder geradebiegen müssen.
Endlich war ich am Ziel, stellte meinen Wagen auf einem Partplatz ab und ging zu der Bar hinüber.
Ein prachtvoll gewachsener Neger in einer noch prachtvolleren Admiralsuniform riss die Tür auf. In der Garderobe hingen Pelze und Abendmäntel. Die beiden Mädchen hinter der kleinen Theke lächelten mich an. Da ich meinen Hut im Wagen gelassen hatte, marschierte ich an beiden vorbei.
Durch eine Schwingtür kam ich in die Bar. Auf einer gläsernen Tanzfläche bewegten sich zehn oder zwölf Paare. Eine Negerkapelle jazzte. Fhst alle Tische waren besetzt.
Ich stellte mich an die Bar und bestellte einen Whisky-Soda und schaute mich um.
Lange brauchte ich nicht zu suchen. Von einer Galerie kam ein Mann die Treppe herunter. Mittelgroß, schlank, schwarzhaarig, etwa siebenundzwanzig- bis dreißigjährig. Er trug einen Smoking nach Maß und gab einem der Kellner einen Auftrag.
Ich pirschte mich an ihn heran.
»Sind Sie der Geschäftsführer dieses Ladens?«, fragte ich.
»Sehr wohl, mein Herr. Allerdings dürfte die Bezeichnung…«
»Halten Sie keine langen Reden. Mister Motsa. Ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen. Wo ist das Büro?«
»Was erlauben Sie sich? Wer sind Sie überhaupt?«
»Cotton vom FBI. Falls das nicht genügt, zeige ich Ihnen gern meinen Ausweis.«
Er wurde blass. »Bitte kein Aufsehen, Mr. Cotton. Mein Büro ist dort oben. Wenn ich bitten darf.«
»Okay«, sagte ich und folgte ihm.
Das Büro war nett und gemütlich. Ich setzte mich, Dougy Motsa auch.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er, als könnte er kein Wässerchen trüben.
»Ich habe erfahren«, begann ich sanft, »dass Sie es waren, der mir die drei Killer im Chevrolet nachschickte. Ich habe weiter erfahren, dass Sie am Abend vorher drei Männer - vermutlich die gleichen - damit beauftragt haben, eine Frau zu erdrosseln und dann in den Elizabeth River zu werfen. Wie steht’s damit?«
»Was Sie da sagen, kann doch nur eine Verwechslung sein, Mr. Cotton. Ich weiß wirklich nichts von dem, was sie mir in die Schuhe schieben wollen. Warum soll ausgerechnet ich es sein, der drei Gangster auf einen G-man hetzt? Ich möchte gern wissen, wer Ihnen meinen Namen genannt hat. Irgendein von mir entlassener Kellner, der sich auf diese Weise rächen will?«
»Haben Sie schon einmal von einer gewissen Jetta und einem Abe Telvi gehört? Ein nettes Pärchen, das in Middleville wohnt.«
»Ach so, daher pfeift der Wind. Genau das, was ich vermutet habe. Telvi war hier eine Zeit lang beschäftigt. Gleichzeitig war Jetta Barfrau. Aus Mitleid hatte ich beide eingestellt, weil sie nichts zu beißen hatten. Aber sie lohnten meine Gutmütigkeit schlecht. Sie stahlen, was sie bekommen konnten. Da habe ich sie rausgeworfen. Und nun wollen sie sich an mir rächen. Alles Lüge, Mr. Cotton. Ich habe wirklich mit den üblen Geschichten, die in Middleville passiert sind, nichts zu tun.«
»Woher wissen Sie, was in Middleville passiert ist?«
»Aus den Zeitungen und dem Radio natürlich.«
Er grinste mich an.
»Ach so«, sagte ich und schob mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Höflich reichte er mir Feuer und meinte:
»Wollen Sie schon jemand in einer Sache ausfragen, dann tun Sie es bitte erst dann, wenn Sie an der richtigen Adresse sind. Warum stürzen Sie sich gleich auf den ersten Besten? Jemand erzählt Ihnen Räuberpistolen, und prompt fallen Sie darauf herein. Sie werden über meine freien Worte ungehalten sein, aber sie kamen aus vollem Herzen.«
Ich wiegte vorwurfsvoll den Kopf. »Na schön, wir leben in einem freien Land, jeder kann frei reden. Wo steckt Ihr Chef?«
»Weiß ich nicht.«
»Okay«, sagte ich. »Genau fünf Minuten gebe ich Ihnen, um es herauszufinden. Höre ich bis dahin keine Erfolgsmeldung, lasse ich Sie verhaften.
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