0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht
Menge unklar.
»Und nun, Susan«, sagte ich möglichst kühl, »dürfte es wohl an der Zeit sein, uns zu verraten, was Jana Harker von Ihnen wollte.«
»Natürlich war ich über das Telegramm erstaunt«, sagte sie. »Vielleicht, so dachte ich mir, bedarf Jana deines Rates und deiner Hilfe. Schon seit Monaten litt sie an Depressionen. Sie war meine Freundin und daher hielt ich es für meine Pflicht, mit der ersten fahrplanmäßigen Maschine nach New York zurückzufliegen. Am 14. September gegen 15 Uhr war ich in der Ferret-Villa. Sie können mein Erstaunen verstehen, als ich sie in einem Zustand antraf, der mit völliger Betrunkenheit wohl am besten bezeichnet wird. Sie kannte mich kaum wusste überhaupt nichts von dem Telegramm, torkelte umher und redete wirr. Ich wollte sie ins Bett bringen und brachte sie auch dazu, mit mir nach oben zu gehen. Plötzlich bekam sie einen Tobsuchtsanfall und warf alles durcheinander. Sie sank erschöpft auf die Couch und schlief ein. Ich wollte zuerst einen Arzt holen, scheute mich aber, weil dadurch offenbar geworden wäre, dass meine Freundin trinkt. Sie wissen ja, wie sich so etwas herumspricht. Deshalb benachrichtigte ich auch nicht das Personal. Um 18.30 Uhr war ich nochmals da, um mich von dem Befinden Janas zu unterrichten. Die Tür war verschlossen. Ich sah einen Wagen hinter einer Baumgruppe parken, nahm an, Louisa habe nun doch einen Arzt gerufen, und fuhr wieder ab.«
»Haben Sie leere Flaschen bemerkt, Miss Marr?«, fragte Phil.
»Sonderbarerweise nicht.«
»Im Allgemeinen riecht man doch, wenn einer getrunken hat.«
»Mir fiel auf, dass Jana nach etwas roch, das ich nicht kannte. Süßlich…«
Ich sprang hoch und wanderte auf und ab. Wie einfach ist doch alles, wenn man erst mal dahintergekommen war. Aber die Hauptsache wartete noch auf eine Klärung. Wo steckte Jana Harker? Wer hatte ein Interesse daran, ihren Tod vorzutäuschen? Wie ließ sich das Gespann Motsa-Stone in den Fall Harker einbauen? Welche Rolle spielte Robert Harker in der-Tragödie? Wer war die Tote mit dem verstümmelten Gesicht in der Leichenhalle von Middleville? Was hatte Red Marrs Schmuggelbeichte damit zu tun?
Meinen Sie nicht auch, dass es noch ein ganzer Haufen Fragen war, die auf eine Antwort warteten? Ich unterbrach meinen Eilmarsch und setzte mich in einen Sessel.
»Und jetzt weiter, Susan«, drängte ich fiebernd vor Ungeduld. »Ich denke in erster Linie an die Schmuggelgeschichte.«
»Ist es nicht einfacher«, sagte das Marr-Mädchen, »ich berichte chronologisch? Damit meine ich, so wie es sich nacheinander von meinem Blickpunkt aus weiterentwickelt hat.«
»Okay«, nickte ich.
»Als wir Ihren Besuch am Spätabend bekamen, Jerry, und ich hörte, dass man Jana aus dem Elizabeth River gezogen hatte, und dass es sich um Mord und keinen Selbstmord handelte, war mir klar, du stehst in Verdacht. Man mag über mich lachen und mich für übergeschnappt halten, ich ließ es darauf ankommen. Nicht zuletzt stellte ich mich dickfällig, weil ein gewisser Jerry Cotton mir in ziemlich herausfordernder Weise zu verstehen gab, dass er mich in den Kreis der Verdächtigen einbezogen hatte.«
»Hatte ich auch«, sagte ich lächelnd.
»Gut«, sprach sie weiter, »wir alle mussten am nächsten Mittag zum Polizeipräsidium nach Middleville. Warum der Aufwand, war mir klar. Ich war gespannt, ob der tüchtige G-man die Handtasche mit dem mich belastenden Brief fände. Er fand sie. Während des Verhörs durch Major Westhanger kam mir zum Bewusstsein, dass auch der Geschäftspartner meine Vaters, Kid Stones, und Robert Harker ins Gebet genommen und die Büros durchsucht würden. Bei dieser Gelegenheit wäre der Schmuggel mit Schantungseide herausgekommen und mein Vater mit hereingezogen worden. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Deshalb bewog ich ihn, gleich offen zuzugeben, dass er gegen das Gesetz verstoßen habe. Ich weiß nicht, ob Sie durch den Major unterrichtet wurden, dass mein Vater bereits vor sechs oder sieben Monaten den Schmuggel auf gegeben hat.«
Phil und ich verneinten. Phil konnte es nicht wissen, mir hatte Alan es zu erzählen vergessen. Das ist auch nebensächlich, dachte ich. Bald sollte ich erfahren, dass es gar nicht so nebensächlich war.
»Als ich hörte«, fuhr Susan fort, »dass drei Gangster auf Sie geschossen hatten, Jerry, wurde mir ungemütlich in meiner Haut. Dann kamen Sie zum Tee. Ich wollte alles sagen, was ich wusste -wieder hinderte mich der Trotz
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