0099 - Hexennacht
Hörer und fuhr der Haushälterin mit gespreizten Fingern ins Gesicht.
»Miß Gilbert«, schrie Penny auf, »lassen Sie mich doch. Ich wollte doch nur den Arzt anrufen!«
Die rote Welle der Mordgier ebbte jäh in Harriet ab. Sie ließ die Hände sinken.
»Nonsens. Stinkendes Weibergewäsch«, sagte sie verächtlich. »Ich bin ganz in Ordnung, blöde Gans.« Sie trat zum Fenster. »Na bitte. Da draußen steht schon der Wagen der Produktion und will mich abholen. Und ich habe noch keinen Schluck Kaffee getrunken.«
»Es steht alles nebenan«, jammerte Penny, »ich laufe raus und sage, daß es noch fünf Minuten dauert.«
Harriet Gilbert aber sandte ihr nur einen langen Blick des Hasses zu. Penny reichte ihr, am ganzen Körper zitternd, die Handtasche, in der zusammengerollt die Seiten des Drehbuchs lagen, und folgte ihr zur Tür.
Der Chauffeur neben der Limousine stand stramm, als Harriet auf ihn zukam.
Mit den ihr eigenen trägen Schritten, die von den Teenagern der ganzen Welt nachgeahmt wurden, kam sie auf den Mann zu. Sie schenkte ihm ein sparsames, huldvolles Lächeln. Der Mann wurde rot und riß den Wagenschlag auf. »Miß Gilbert, M’am…«
Harriet stieg ein. Sie senkte sofort die Wimpern über ihre Augen und faltete die Hände.
Sie ist doch eine gute Schauspielerin, dachte Penny, die an der Haustür stehend der Abfahrt beiwohnte. Ich halte das nicht länger mit ihr aus. Ich muß mir einen neuen Job suchen. Es war ja heute unerträglich mit ihr. Sie fuhr sich mit der Hand über die Wange und erschrak. Sie war rot.
***
Auf der Fahrt zum Atelier blätterte Harriet unlustig in den Drehbuchseiten. Sie fürchtete sich vor diesem Tag, der vor ihr lag. Sie hatte Angst vor der Hitze, vor Entdeckung der Male auf ihrem Hals und vor Don Kellys Launen.
Mit ihren Gedanken aber war sie weit fort.
Dreimal heute morgen hatte sie wilde Mordlust gegen Penny erfüllt.
Das war ihr noch nie geschehen. Gut, sie war oft gereizt gewesen und hatte Penny lautstark zum Teufel gewünscht — aber sie hatte sie doch nie ernsthaft vernichten wollen. Vorhin aber war ihr rot vor Augen geworden, und die Gier, Penny an die Kehle zu springen und sie zu erwürgen, war wie ein heißes, versengendes Feuer gewesen, das ihren ganzen Körper erfüllte und dort tobte wie ein Hurrikan.
Harriet lehnte sich zurück und schloß die Augen. Sie konnte sich wohl nicht mehr gegen die Erkenntnis sperren, daß ihr Leben heute nacht eine entscheidende, nie mehr zu korrigierende Wende erfahren hatte.
Sie war jetzt Mitglied der ›Hexen von Boston‹. Harriet kannte nicht die Zusammenhänge, weshalb diese Hexen sich so nannten und weshalb sie ausgerechnet aus Boston kamen. Jedenfalls gehörte sie jetzt zu ihnen. Ihr fehlendes Spiegelbild und die Male auf ihrem Hals waren sprechender Beweis dafür, daß sie heute nacht nicht nur geträumt hatte.
Mit diesem Biß haben sie mich geändert. Sie haben mir das Böse eingekerbt, und dieses Böse wird in mir wachsen, und ich werde nur noch den Wunsch nach Tod und Vernichtung in mir tragen, sagte sie sich.
Aber das Schicksal von Gien Webster wollte sie nicht teilen. Mit abgöttischer Liebe hing sie an den vollendeten Linien ihres Körpers. Die Narben auf dem Hals würde man überschminken müssen, außerdem würde sie erklären, daß sie nur noch mit hochgeschlossenen Kragen vor die Kamera treten würde. Man mußte es als eine Marotte von ihr ansehen.
Wenn ich nur meine Schönheit behalten darf, dachte Harriet. Dafür riskierte sie auch, daß das Böse ihre Seele erfaßte und beherrschte.
Am Ende der Fahrt war sie sich bewußt, eine Hexe zu sein. Sie blickte sich um, ehe sie ausstieg. Wie immer, wenn sie in der Öffentlichkeit erschien, sammelten sich Menschen, um ihr zuzuwinken.
Heute aber war sie mißtrauisch. Die Hexen — die unheimlichen häßlichen Schwestern, die sie heute nacht bekommen hatte — waren sicher längst hier. Sie würden sie auf Schritt und Tritt beobachten und auf die Probe stellen.
Harriet, der große Star, warf die Lippen auf, stieg aus und nickte den Leuten am Eingang zu Halle 16 zu. Sie schritt lässig — ihre Hüften gekonnt schwenkend — weiter. Ehe sie in die Halle trat, blieb sie stehen und schenkte den Neugierigen ihr berühmtes Pinup-Lächeln.
***
Die langjährige Garderobiere der Diva — die rundliche Molly Jenkins — knickste. »Guten Morgen, Miß Gilbert. Ein schöner Tag heute, nicht wahr?«
»Ich hatte noch kein Frühstück«, raunzte Harriet sie an. »Sorge
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