01 Arthur und die vergessenen Buecher
jetzt als Teil der Gracht, magisch verbunden mit den Adern dieser Stadt, die mir ihre Geschichten zuflüsterten. Hätte ich sie doch nur verstanden! Aber damals wusste ich noch nicht, dass man nicht nur mit den Ohren hören und mit den Augen sehen kann.
Nach zehn Minuten wechselte ich den Platz am Ruder mit Larissa. Jan gab Anweisungen, wo wir abzubiegen hatten und griff ab und zu helfend ein, wenn uns eines der großen Ausflugsschiffe begegnete und wir seitlich ausweichen oder abbremsen mussten.
Schließlich erreichten wir unser Ziel. Jan ließ uns an einem der vielen Anleger ans Ufer. Von hier aus waren es nur noch wenige Meter bis zur Schuttersgalerij . Wir winkten ihm nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war, und machten uns dann auf den kurzen Weg.
Ein paar Dutzend Menschen drängten sich in dem schmalen Gang, nur von Gerrit war nichts zu sehen. Wir arbeiteten uns durch die Menge zum anderen Ausgang vor, der zu dem Innenhof mit Gerrits Häuschen führte. Als wir kurz vor der Tür waren, rief eine Stimme hinter uns: »Arthur! Larissa!«
Da stand er, in derselben merkwürdigen Kleidung wie gestern, und winkte uns mit seinem breitkrempigen Hut zu.
Mit wenigen Schritten war er bei uns. »Schön, euch wiederzusehen«, strahlte er.
Ich fragte mich, ob er hier wohl den ganzen Tag herumstand und auf uns wartete. Das würde dem Wachmann in der Mitte des Gangs doch sicher auffallen. Aber wieso war er dann genau zum selben Zeitpunkt hier wie wir? Kaum hatte ich die Frage gedacht, da war sie mir auch schon rausgerutscht.
»Kein Problem«, lachte er. »Ich wohne doch direkt nebenan. Da mache ich einfach ab und zu eine kleine Runde durch die Galerie.«
»Aber genau dann, wenn wir gerade eingetroffen sind?«
»Reiner Zufall«, strahlte er. »Kommt, wir gehen zu mir, da können wir besser reden.«
Diesmal ließ Gerrit den Genever im Schrank. Stattdessen servierte er uns einen Kakao, der fast noch besser schmeckte als der von Jan heute Morgen.
»Hmm«, grübelte er, nachdem wir ihm von unseren Nachforschungen erzählt hatten. »Oktagramm oder Oktagon in Zusammenhang mit Amsterdam sagt mir nichts. Aber Kabbala – da fällt mir sofort das Haus mit den Blutflecken ein.«
Er bemerkte unseren fragenden Blick.
»Das ist ein Haus an der Amstel. Es wurde vor rund vierhundert Jahren von einem Amsterdamer Bürgermeister bewohnt. Er hieß Coenraad van Beuningen. Nach dem Ende seiner politischen Laufbahn investierte er fast sein ganzes Vermögen in Anteile der Ostindischen Handelsgesellschaft. Aber statt Gewinn zu machen, verlor er sein ganzes Geld und ging bankrott. Danach hat er scheinbar den Verstand verloren. Er studierte die Kabbala, und um 1690 herum soll er sich den Arm aufgeschlitzt und mit seinem Blut merkwürdige Zeichen an die Hauswand gemalt haben, darunter auch kabbalistische Symbole. Das mit dem Blut ist nur ein Gerücht. Tatsache ist allerdings, dass es bis heute niemandem gelungen ist, Coenraad van Beuningens Zeichnungen zu entfernen. Sie haben selbst Säure und Hochdruckreinigern widerstanden.«
»Man kann sie heute noch sehen?«, fragte ich.
Gerrit nickte. »Ihr seid auf dem Weg zum Spiegelkwartier wahrscheinlich sogar an dem Haus vorbeigekommen. Es trägt die Hausnummer 216.«
»216!« rief Larissa. »Das ist acht mal 27! Schon wieder eine Acht!«
»Das könnte auch ein Zufall sein«, bemerkte ich.
»Ziemlich viele Zufälle, finde ich. Wir entdecken das Zeichen für den achten Sephirot, ein Haus, dessen Nummer durch acht teilbar ist – und dann noch ein verrückter Holländer, der Kabbalist war.«
»Was haltet ihr davon, wenn wir uns das Haus mit den Blutflecken mal ansehen?«, fragte Gerrit. »Es ist ja nicht weit von hier.«
Sobald wir auf der Straße standen, überzeugte ich mich davon, dass die Slivitsky-Brüder nicht in der Nähe waren. Sie befanden sich bestimmt noch in Amsterdam und auf der Suche nach uns. Ich hatte keine Lust, dem Narbengrufti oder seinem Bruder in die Hände zu fallen. Zum Glück war keiner von beiden irgendwo zu sehen.
Wie in der Schuttersgalerij, schien auch auf den Straßen niemand Gerrits ungewöhnliche Kleidung aufzufallen. Das war allerdings kein Wunder, denn verglichen mit unserer Heimatstadt liefen hier ziemlich viel exzentrisch gekleidete Leute herum.
Am Haus Amstel 216 waren wir gestern wirklich schon vorbei gekommen, ohne dass es uns weiter aufgefallen wäre. Diesmal nahmen wir uns die Zeit, es genauer zu betrachten.
Wir standen auf der anderen
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