01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Janet gesagt, daß wir bis zum Ende unserer Woche am Samstag bleiben.« Lyle stach mit dem Zeigefinger in die Luft, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Chief Inspector Nash hätte zwar sicher nichts dagegen, wenn wir vorher abreisen würden, aber wenn ich für etwas bezahlt habe, möchte ich auch den vollen Gegenwert haben. So«, sagte er mit einem Blick auf seine Uhr, »und jetzt muß ich gehen. Meine Frau hat sicher schon das Essen fertig, und ich mag es nicht, wenn es kalt ist.« Er winkte Kincaid herablassend zu und eilte geschäftig die Treppe hinauf.
18
Sie konnte nicht weg sein.
Kincaids plötzlich schweißnasse Hand rutschte am Türknauf ab, als er Hannahs Apartment zu öffnen versuchte.
Die Tür war abgeschlossen. Er trat zurück und sah vom Fenster des Treppenvorplatzes aus zum Parkplatz hinunter. Das knallige Rot seines Midget stach ihm blitzend ins Auge; der Platz neben dem MG, an dem Hannahs grüner Citroen gestanden hatte, war leer.
Sein Magen krampfte sich zusammen, und gleichzeitig sagte er sich, er solle sich nicht so anstellen. Kein Grund zur Panik - sie war wahrscheinlich nur irgendwo hingefahren, um sich Kaffee oder eine Zeitung zu holen. Aber keine vernünftige, rationale Erklärung vermochte die Angst zu mildern, die ihn quälte.
Den halben Vormittag hatte er damit vertan, in seinem Apartment hin- und herzulaufen und auf einen Anruf von Gemma zu warten, immer in dem Glauben, Hannah säße sicher und geborgen in ihrer Suite.
Er hätte es besser wissen müssen. Hannah Alcock hatte zu lange ihr eigenes Leben geführt, um sich plötzlich an die Weisungen anderer zu halten. Kincaid starrte zum Parkplatz hinunter und fragte sich, was sie an diesem Morgen aus dem Haus getrieben hatte.
Die Tür zum gegenüberliegenden Flügel öffnete sich mit Schwung. Kincaid drehte sich herum. Angela Frazer kam zur Tür herein und blieb stehen, den Blick scharf auf ihn gerichtet. Cassie hatte die Wahrheit gesagt. Von der normalen Fünfzehnjährigen war nichts zu sehen; alles war unter der Punk-Vampir-Tarnung versteckt. Gesicht und Lippen leuchteten weiß, die Augen waren dunkel umrandet wie die einer Kleopatra, das Haar stand in gelsteifen Stacheln vom Kopf ab.
Kein schlechter Abwehrmechanismus, dachte er. Sie sah in der Tat absolut unzugänglich aus. Aber was, fragte er sich, hatte Angela Frazer wieder hinter ihre Maske getrieben? Er schob seine Sorge um Hannah für den Augenblick beiseite und konzentrierte sich auf Angela. Unter ihrem Blick kam er sich vor wie eine Fliege unter dem Mikroskop. Er schob eine Hüfte auf das Fensterbrett und verschränkte die Arme. »Wo hast du dich denn versteckt gehalten?« fragte er, bemüht, die frühere Vertrautheit wiederherzustellen.
Keine Antwort. Es überraschte ihn nicht. Seine Worte hatten sogar in seinen eigenen Ohren gönnerhaft und künstlich heiter geklungen. Er versuchte es mit einer direkteren Taktik. »Womit habe ich dein Anschweigen verdient?«
Der Blick der dunklen Augen ließ ihn los, als Angela den Kopf senkte und an der Wand entlang auf ihn zuging, wobei sie mit einem Finger die Abschlußleiste der Täfelung entlangfuhr, als wolle sie prüfen, ob sie staubig sei. Knapp außerhalb seiner Reichweite blieb sie stehen und hob wieder den Kopf, um ihn anzusehen. »Mit gar nichts.«
»Mit gar nichts? Aber Angela, dich bedrückt doch etwas. Zwei Tage lang läßt du dich nicht blicken, und jetzt, wo du endlich wieder auf der Bildfläche erscheinst, siehst du aus wie Frankensteins Braut. Was ist passiert?«
Angelas Blick wanderte über ihre mit Silberknöpfen besetzte schwarze Jeansjacke und den Minirock aus Leder. Die Knie unter dem Saum des schwarzen Rocks waren blaß und rundlich - Kinderknie, nicht einmal die Grübchen fehlten.
Man hätte sie in den Arm nehmen oder übers Knie legen müssen - beides hätte wahrscheinlich gewirkt, beides konnte Kincaid sich nicht erlauben. Er konnte nur warten.
»Vorher haben Sie mich Angie genannt.«
»Richtig. Ich dachte, wir wären Freunde.«
Bei diesen Worten hob sie mit einem Ruck den Kopf und sagte trotzig: »Sie haben überhaupt nichts getan. Dabei haben Sie’s versprochen. Allen ist es egal, was Sebastian passiert ist. Ich mein’ ja nicht«, ergänzte sie, sich plötzlich in den Mittelstandskonventionen verfangend, nach denen sie erzogen worden war, »daß mir die arme Miss MacKenzie und Miss Alcock nicht leid tun, aber Sebastian
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