01_Der Fall Jane Eyre
Zimmerbrand vor dem Verbrennungstod
rettet. Jane verliebt sich in Rochester, muß jedoch mit ansehen, wie er
Blanche Ingram, einem richtigen Luder, den Hof macht. Jane verläßt
Thornfield, um Mrs. Reed zu pflegen, die im Sterben liegt, und bei
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ihrer Rückkehr hält Rochester um ihre Hand an; denn in ihrer
Abwesenheit hat er erkannt, daß Janes Charaktereigenschaften Miss
Ingrams Reize bei weitem übertreffen, trotz des Klassenunterschieds.«
»Und wenn sie nicht gestorben sind …«
»Immer mit der Ruhe. Die Hochzeit platzt nämlich. Das Brautpaar
steht schon in der Kirche, da kommt ein Anwalt und behauptet,
Rochester sei schon verheiratet, was sich als zutreffend herausstellt.
Die wahnsinnige Bertha Rochester bewohnt sogar ein Zimmer im
Obergeschoß von Thornfield Hall, wo sie von der schrulligen Grace
Poole gepflegt wird. Der Brand in Rochesters Zimmer geht auf ihr
Konto. Wie Sie sich sicher vorstellen können, ist Jane zutiefst
schockiert. Rochester versucht sein Benehmen dadurch
wiedergutzumachen, daß er ihr immer wieder seine Liebe beteuert. Er
bittet sie, als seine Mätresse mit ihm fortzugehen, aber sie weigert
sich. Obwohl sie ihn noch immer liebt, läuft sie davon und findet ein
neues Zuhause bei den Rivers, zwei Schwestern und deren Bruder, die
sich als ihre Verwandten entpuppen.«
»Ist das nicht ziemlich unwahrscheinlich?«
»Schhh. Janes Onkel, der auch der Onkel der Geschwister ist, hat
vor kurzem das Zeitliche gesegnet und ihr sein gesamtes Vermögen
hinterlassen. Sie beteiligt die drei an ihrem Erbe und will ein
selbständiges Leben führen. Der Bruder, St. John Rivers, beschließt,
als Missionar nach Indien zu gehen, und möchte, daß Jane mitkommt
und der Kirche dient. Jane ist zwar durchaus bereit, ihm zu dienen,
will ihn aber nicht heiraten. Sie betrachtet die Ehe als einen Bund der
Liebe und der gegenseitigen Achtung, nicht als Pflichtübung. Nach
langem Hin und Her willigt sie schließlich ein, mit ihm als seine
›rechte Hand‹ nach Indien zu gehen. Und damit endet der Roman.«
»Das ist alles?« fragte Bowden erstaunt.
»Wie meinen Sie das?«
»Also, ich finde den Schluß enttäuschend. Wir versuchen, die Kunst
so vollkommen wie irgend möglich zu machen, eben weil uns das im
wirklichen Leben nie gelingt, und Charlotte Brontë beendet ihren
Roman auf eine Art und Weise, die wahrscheinlich ihr eigenes
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unglückliches Liebesleben reflektiert. Ich an Charlottes Stelle hätte
dafür gesorgt, daß Jane und Rochester doch noch irgendwie
zusammenfinden.«
»Fragen Sie mich nicht«, sagte ich. »Ich habe das Buch nicht
geschrieben.« Ich dachte einen Augenblick nach. »Sie haben natürlich
recht«, murmelte ich dann. »Der Schluß ist beschissen. Erst läuft alles
wie am Schnürchen, und dann läßt sie den Leser im Regen stehen.
Selbst Brontë-Puristen sind sich einig, daß es wesentlich besser
gewesen wäre, wenn sie am Ende geheiratet hätten.«
»Und wie, solange Bertha noch am Leben ist?«
»Keine Ahnung; sie könnte zum Beispiel sterben. Hmm, gar nicht so
einfach.«
»Woher kennen Sie Jane Eyre eigentlich so gut?« fragte Bowden.
»Es war immer schon eins meiner Lieblingsbücher. Ich hatte ein
Exemplar davon in meiner Jackentasche, als ich in London
angeschossen wurde. Die Kugel blieb darin stecken. Kurz darauf
erschien Rochester und klemmte meine Armverletzung ab, bis die
Sanitäter kamen. Er und das Buch haben mir das Leben gerettet.«
Bowden sah auf seine Uhr. »Nach Yorkshire ist es noch ein ganzes
Stück. Wir sind frühestens um … Holla, was ist das?«
Auf der Autobahn schien sich ein Unfall ereignet zu haben. Es
standen schon mehr als zwei Dutzend Autos im Stau. Als wir auch
nach ein paar Minuten noch nicht vom Fleck gekommen waren, lenkte
ich den Wagen auf den Standstreifen und rollte langsam zur Spitze der
Kolonne. Ein Verkehrspolizist hielt uns an, warf einen skeptischen
Blick auf die Einschußlöcher in der Karosserie und sagte: »Tut mir
leid, Ma’am. Ich kann Sie hier nicht …«
Aber als ich meine alte SO-5-Marke zückte, war er wie
ausgewechselt: »Tut mir leid, Ma’am. Aber wir haben es hier mit
etwas ziemlich Ungewöhnlichem zu tun.«
Bowden und ich sahen uns an und stiegen aus. Eine Schar
Neugieriger drängte sich hinter der Polizeiabsperrung. Schweigend
verfolgten sie das Schauspiel, das sich ihnen bot. Drei Funkstreifen
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und ein Krankenwagen waren schon vor Ort; zwei
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