01_Der Fall Jane Eyre
anzurühren.«
»Auf mein Wort«, antwortete Bowden theatralisch und tätschelte
sich den Bauch. Die beiden schüttelten sich die Hand, zwinkerten
einander zu, und wir wurden ins Museum eskortiert.
»Wie, zum Teufel, haben Sie das jetzt gemacht?« fragte ich.
»Schauen Sie sich seinen Ring an«, flüsterte er.
Ich schaute. Er trug einen großen Ring mit ebenso sonderbarem wie
auffallendem Muster am Mittelfinger.
»Was ist damit?«
»Die Ehrwürdige Bruderschaft des Wombats.«
Ich grinste.
- 306 -
»Also, worum geht’s?« fragte ich laut. »Ein Doppelmord und ein
fehlendes Manuskript? Und die Täter haben lediglich das Manuskript
mitgenommen, stimmt’s? Sonst nichts?«
»Stimmt«, antwortete Mandias.
»Und der Wachmann wurde mit seiner eigenen Dienstwaffe
erschossen?«
Mandias warf mir einen strengen Blick zu. »Woher wissen Sie
das?«
»Glückstreffer«, sagte ich ruhig. »Was ist mit den Videobändern?«
»Die werden noch überprüft.«
»Es ist nichts drauf, hab ich recht?«
Mandias warf mir einen mißtrauischen Blick zu. »Wissen Sie etwa,
wer dahintersteckt?«
Ich folgte ihm in das Zimmer, in dem sich einst das Manuskript
befunden hatte. Der unversehrte Glaskasten stand noch immer einsam
und verlassen in der Mitte des Raumes. Ich fuhr mit den Fingerspitzen
über eine leicht gesprenkelte, unebene Stelle an der Oberseite.
»Danke, Mandias, Sie sind ein Schatz«, sagte ich und ging wieder
hinaus. Bowden und Mandias sahen sich an und rannten beunruhigt
hinter mir her.
»Das ist alles?« fragte Mandias. »Das ist Ihre ganze Untersuchung?«
»Ich habe alles gesehen, was ich wissen wollte.«
»Können Sie mir denn nicht irgendwie weiterhelfen?« bettelte
Mandias, der seine liebe Mühe hatte, mit uns Schritt zu halten. Er sah
Bowden an. »Bruder, du kannst es mir doch verraten.«
»Wir sollten dem Detective Inspector sagen, was wir wissen,
Thursday. Das sind wir ihm schuldig.«
Ich blieb so plötzlich stehen, daß Mandias mich beinahe über den
Haufen gerannt hätte. »Sagt Ihnen der Name Hades etwas?«
Mandias wurde sichtlich blaß und sah sich nervös um.
- 307 -
»Keine Sorge; er ist längst über alle Berge.«
»Es heißt, er sei in Venezuela ums Leben gekommen.«
»Es heißt, er könne durch Wände gehen«, entgegnete ich. »Es heißt
auch, er gebe Farbe an die Atmosphäre ab, wenn er sich bewegt.
Hades lebt, er ist gesund und munter, und ich muß ihn finden, bevor er
sich an dem Manuskript vergreift.«
Seit er wußte, wer hinter der ganzen Sache steckte, schien Mandias
von aller Tatkraft verlassen. »Und was soll ich jetzt tun?«
Ich zögerte einen Augenblick. »Beten Sie, daß Sie ihm nie
begegnen.«
Die Rückfahrt nach Swindon verlief ohne Zwischenfälle, und auf der
M 1 wies nichts auf die Schwierigkeiten der vergangenen Nacht hin.
Victor erwartete uns im Büro; er wirkte nervös.
»Der Commander hat mir den ganzen Vormittag damit in den Ohren
gelegen, daß die Versicherung nicht zahlt, wenn seine Leute sich
außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs betätigen«, sagte er.
»Immer dieselbe Scheiße.«
»Das habe ich ihm auch gesagt. Ich habe übrigens die meisten
Kollegen angewiesen, Jane Eyre zu lesen, nur für den Fall, daß etwas
passiert – aber bis jetzt ist alles ruhig.«
»Das ist nur eine Frage der Zeit.«
»Hmm.«
»Müller hat behauptet, Hades wäre in einem Ort namens Penderyn«,
sagte ich. »Gibt es da schon was Neues?«
»Nicht, daß ich wüßte. Schitt meinte, er habe das überprüft und eine
glatte Niete gezogen – es kommen über dreihundert Penderyns in
Frage. Aber das ist noch längst nicht alles. Haben Sie schon die
Morgenzeitung gelesen?«
Ich verneinte. Er zeigte mir die Seite zwei des Mole. Da stand:
- 308 -
TRUPPENAUFMARSCH AN
DER WALISISCHEN GRENZE?
Besorgt las ich weiter. Anscheinend hatte es in der Nähe von
Hereford, Chepstow und der umkämpften Grenzstadt Oswestry
Truppenbewegungen gegeben. Ein Militärsprecher hatte die Manöver
als »Übungen« abgetan, trotzdem hörte sich das gar nicht gut an. Ganz
und gar nicht gut. Ich wandte mich an Victor.
»Jack Schitt? Meinen Sie, er will das ProsaPortal so dringend haben,
daß er Wales dafür den Krieg erklären würde?«
»Wer weiß, wie weit die Macht der Goliath Corporation reicht?
Aber vielleicht hat er mit der Sache ja gar nichts zu tun. Es könnte
sich um einen bloßen Zufall handeln, trotzdem können wir es
natürlich nicht einfach
Weitere Kostenlose Bücher