01_Der Fall Jane Eyre
auf seine
Unabhängigkeit seit jeher einiges zugute. Wenn wir im Laufe
anderweitiger Ermittlungen rein zufällig auf Beweise stoßen würden,
hätte niemand etwas dagegen. Sie verstehen?«
»Durchaus. Haben Sie eine Ahnung, wer Crometty umgebracht
haben könnte?«
»Jemand bot ihm etwas zum Kauf an. Ein rares DickensManuskript. Er wollte es sich ansehen und … tja, er war nicht
bewaffnet, wissen Sie.«
»Nur wenige Swindoner LitAgs können überhaupt mit der Waffe
umgehen«, setzte Bowden hinzu, »und die meisten wollen es auch gar
nicht lernen. Literarische Ermittlungsarbeit und Schußwaffen passen
einfach nicht zusammen. Wie heißt es doch? Die Feder ist mächtiger
als das Schwert.«
»Nichts gegen schöne Worte«, entgegnete ich kühl; allmählich
machte es mir Spaß, die mysteriöse SO-5-Agentin zu spielen, »aber
eine Neun-Millimeter ist im Zweifelsfall effektiver.«
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Sie starrten mich eine Weile schweigend an. Dann zog Victor ein
Foto aus einem gelbbraunen Umschlag und legte es vor mir auf den
Tisch. »Was halten Sie davon? Das wurde gestern aufgenommen.«
Ich betrachtete das Foto. Ich kannte das Gesicht nur zu gut. »Jack
Schitt.«
»Und was wissen Sie über ihn?«
»Nicht viel. Er ist der Leiter von Goliaths Internem
Sicherheitsdienst. Er wollte wissen, was Hades mit dem Chuzzlewit Manuskript vorhatte.«
»Ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Sie haben recht, Schitt arbeitet für
Goliath, aber nicht für die Interne Sicherheit.«
»Sondern?«
»Für die Abteilung Spezialwaffen. Acht Milliarden Jahresetat, und
alles läuft über ihn.«
»Acht Milliarden?«
»Plus Kleingeld. Angeblich wurde bei der Entwicklung des
Plasmagewehrs selbst dieses Budget noch überschritten. Er ist
intelligent, ehrgeizig und wenig flexibel. Er ist seit vierzehn Tagen
hier. Und er wäre nicht in Swindon, wenn es hier nicht etwas gäbe,
das für Goliath von besonderem Interesse ist; wir glauben, daß
Crometty sich das Originalmanuskript von Chuzzlewit ansehen wollte,
und wenn das stimmt …«
»… ist Schitt nur hier, weil ich hier bin«, beendete ich den Satz. »Er
fand es merkwürdig, daß ich mich um einen Posten bei SO-27
beworben hatte, und das ausgerechnet in Swindon – ich bitte um
Entschuldigung.«
»Schon gut«, meinte Analogy. »Aber daß Schitt sich hier
herumtreibt, sagt mir, daß Hades noch am Leben ist – oder doch
wenigstens, daß Goliath das glaubt .«
»Ich weiß«, sagte ich. »Beängstigend, nicht wahr?«
Analogy und Cable sahen sich an. Sie hatten alles Nötige gesagt:
daß ich hier willkommen sei, daß sie Crometty rächen wollten und
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Jack Schitt nicht riechen konnten. Sie wünschten mir einen
angenehmen Abend, zogen Hut und Mantel an und waren im Nu
verschwunden.
Die Jazznummer war zu Ende. Auch ich klatschte Beifall, während
Holroyd sich wacklig erhob, dem Publikum zuwinkte und von der
Bühne ging. Nachdem die Musik verstummt war, leerte sich die Bar
rapide, und ich blieb mehr oder weniger allein zurück. Ich blickte
nach rechts, wo zwei Miltons einander schöne Augen machten, und
dann zum Tresen, wo sich ein paar Vertreter im Anzug auf
Spesenrechnung vollaufen ließen. Ich ging zum Klavier und setzte
mich. Ich griff ein paar Akkorde und testete erst meinen Arm, bevor
ich übermütig wurde und mich an der unteren Hälfte eines Duetts
versuchte, das ich im Kopf behalten hatte. Ich sah zum Barkeeper
hinüber, um mir noch etwas zu trinken zu bestellen, doch der
trocknete gerade Gläser ab.
Als ich zum dritten Mal zur Einleitung der oberen Hälfte des Duetts
kam, erschien jäh eine Männerhand und spielte die erste Note des
Diskantparts genau im Takt. Ich schloß die Augen; ich wußte sofort,
wer es war, nahm mir jedoch vor, nicht aufzublicken. Ich roch sein
Aftershave und bemerkte die Narbe an seiner linken Hand. Mir
sträubten sich die Nackenhaare, und ich spürte, wie ein Schauder mich
durchlief. Ich rückte instinktiv ein Stück nach links, damit er sich
setzen konnte. Seine Finger huschten wie meine über die Tasten, und
wir spielten nahezu fehlerlos. Der Barkeeper warf uns einen
anerkennenden Blick zu, und selbst die Anzugträger holten auf zu
reden und wandten den Kopf, um zu sehen, wer da spielte. Ich schaute
immer noch nicht auf. Als sich meine Hände an die halbvergessene
Melodie gewöhnt hatten, wurde ich selbstbewußter und steigerte das
Tempo. Mein unsichtbarer Partner hielt tapfer mit.
So spielten wir fast
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