01 - Der Geist, der mich liebte
professionelle Hilfe suchen. Einen Gärtner, am besten ein ganzes Geschwader, in der Hoffnung, sie könnten wieder wettmachen, was ich den Pflanzen vermutlich schon mit meiner bloßen Anwesenheit antat.
Ich holte mir eine Gießkanne und machte mich daran, das Grün zu wässern. Mehr als einmal fühlte ich mich versucht, mit Tante Fiona zu sprechen, und jedes Mal biss ich mir auf die Zunge und schluckte die Worte hinunter. Ich benahm mich seit gestern wunderlich genug, da musste ich nicht noch anfangen, mit meiner toten Tante zu sprechen.
Nachdem ich mich um die Pflanzen gekümmert hatte, stand ich eine Weile vor dem Kreuz und hing meinen Gedanken nach. Ich rief mir all die schönen Momente in Erinnerung, die ich gemeinsam mit Tante Fiona erlebt hatte. Plötzlich brannten Tränen in meinen Augen. Erst schämte ich mich dafür. Ich hasste es, in der Öffentlichkeit Gefühle zu zeigen. Zu meiner Erleichterung war ich allein auf dem Friedhof, sodass ich den Tränen unbemerkt freien Lauf lassen konnte.
Als die Dämmerung langsam über die Gräber herankroch, machte ich mich auf den Rückweg. Wenn ich eines nicht wollte, dann nach Einbruch der Dunkelheit noch hier zu sein.
Sobald ich wieder im Haus war, verriegelte ich sämtliche Türen, überprüfte mehrmals, ob sie auch wirklich geschlossen waren, und zog alle Vorhänge zu. Mr Henderson konnte sagen, was er wollte. Für mich war das Haus am Friedhof immer noch unheimlich.
Ich machte mir ein Erdnussbutter-Sandwich und setzte mich damit und mit einer Cola ins Wohnzimmer. In meinem T-Shirt begann ich schnell zu frieren. Da ich die Heizung nicht anschalten wollte - die hatte ich inzwischen immerhin gefunden -, holte ich mir stattdessen einen Pulli, entfachte ein Feuer im Kamin und schob den Sessel davor.
Ich hatte gerade gegessen, da klingelte mein Handy. Unbekannter Teilnehmer vermeldete das Display. Neugierig nahm ich das Gespräch an. »Hallo?« »Sam? Hi, hier ist Tess!«
»Hallo, Tess.« Ich freute mich, ihre Stimme zu hören. Alles, was mich von dem Gedanken an eine weitere Nacht in diesem Haus ablenken konnte, war gut.
»Hast du morgen Abend schon was vor?« Als ich verneinte, fragte sie: »Wollen wir was essen gehen?«
»Warum nicht. Tess, kann ich dich um etwas bitten?« »Schieß los!«
»Mein Wagen ist liegen geblieben.« Ich räusperte mich. Zuzugeben, dass mir das Benzin ausgegangen war, gab mir wieder das Gefühl, ein Trottel zu sein. »Könntest du mich
vielleicht morgen abholen und mit mir an der Tankstelle vorbeifahren?«
»Klar. Die Bibliothek schließt um halb neun. Bis neun könnte ich bei dir sein.« Ich hörte ein lautes Knallen in der Leitung und war ziemlich sicher, dass sie gerade eine Kaugummiblase zum Platzen gebracht hatte. »Leg dir lieber gleich einen vollen Reservekanister in den Kofferraum. Hier sind ...«
»... die Tankstellen nicht so weit verbreitet wie in der Stadt«, vollendete ich ihren Satz seufzend. »Das hab ich heute schon mal gehört. Muss also was dran sein.«
»Wie bist du überhaupt nach Hause gekommen so ganz ohne Auto?«
Ich erzählte ihr, wie ich den Wagen angehalten und Adrian mich nach Hause gefahren hatte.
»Adrian Crowley? Wow!«
Ja genau: Wow! »Was ist so Besonderes an ihm?«
»Abgesehen davon, dass er der bestaussehende Typ weit und breit und obendrein noch stinkreich ist? Gar nichts«, erwiderte sie gelassen. Dann schrie sie mir beinahe ins Ohr: »Spinnst du, Sam? Hast du was mit den Augen? Adrian Crowley ist der absolute Traum!«
Also doch!
Nachdem sie hörte, dass ich seine Einladung zum Essen ausgeschlagen hatte, drehte sie fast durch. Da half es auch nichts, sie daran zu erinnern, dass sie kurz zuvor dasselbe mit Mike gemacht hatte. Tess beharrte darauf, das sei etwas vollkommen anderes. Schließlich verabredeten wir, dass sie mich morgen Abend, sobald sie die Bibliothek zugesperrt hatte, abholen würde, damit wir den Käfer holen konnten.
Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, beschloss ich Mom anzurufen. Eine Weile plauderten wir über die Fahrt und darüber, wie es mir in Cedars Creek gefiel und wie viel Arbeit mich erwartete. Ehe ich michs versah, waren wir wieder beim eigentlichen Thema. Mom versuchte mal wieder, mir den Job in Boston auszureden. Da mir nicht der Sinn nach einem Streitgespräch stand, behauptete ich, müde zu sein und wünschte ihr eine gute Nacht.
Eine Weile saß ich einfach nur still da, das Handy noch immer in der Hand, und starrte in die knisternden Flammen
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