01 - Ekstase der Liebe
»Du wirst von nun an nichts mehr mit Lady Sheffield zu tun
haben, Chloe. Dein Ruf ist sehr zerbrechlich. Wenn du einen Baron heiratest,
wird jeder dich beobachten, um zu sehen, ob deine bürgerliche Geburt zum
Vorschein kommt und du dich als schlechter als eine Adelige erweist. Lady
Sheffield mag unschuldig sein, aber sie ist jetzt ruiniert. Wenn du nicht
vorsichtig bist, könnte dir die gleiche Ungerechtigkeit widerfahren.«
Chloe
nickte. Aber insgeheim entschied sie sich, Charlotte nicht zu schneiden,
nachdem sie Will geheiratet hatte. Ihre Mutter war im Unrecht. Chloe hatte mit
vielen aristokratischen Mädchen Freundschaft geschlossen, mit denen sie zur
Schule gegangen war, und Charlotte war anders als die meisten. Man konnte durch
ihre Augen direkt auf den Grund ihrer Seele sehen, dachte Chloe ungewöhnlich
poetisch. Der Anblick von Charlotte und Alex, als sie als frisch verheiratetes
Paar ihren ersten Walzer tanzten, hatte sich in ihre Gedanken gebrannt.
Charlotte liebte Alex. Sie würde ihn nie und nimmer betrügen, selbst wenn sie
entdeckte, dass sie keine Kinder haben konnten. Da war sich Chloe vollkommen
sicher.
Glücklicherweise
fand Charlotte so viele Dinge auf dem Landgut ihres Mannes, die ihrer Aufmerksamkeit
bedurften, dass sie wenig Zeit hatte, über Hochzeitsnächte, Schwager oder ihren
ruinierten Ruf nachzudenken. Alex' Vater hatte kaum Zeit auf seinem Landsitz,
Downes Manor, verbracht: Die Vorhänge waren mottenzerfressen und in einigen
Räumen hatte sich sogar die Tapete von den Wänden gelöst. Charlotte stellte
eine Armee ortsansässiger Frauen an und ließ alle fünfundsechzig Räume von oben
bis unten säubern. Sie verbrachte Stunden mit Percy Rowland, dem Vertreter
einer der besten Stoffhäuser Londons. Natürlich beäugte. Percy die berüchtigte
Gräfin bei seinem ersten Besuch auf dem Gut neugierig, aber nach wenigen
Minuten fesselte Charlottes genaues Auge für Farben seine ganze Aufmerksamkeit.
Mit
Percys Hilfe setzte sie drei Wohnzimmer, den großen Speisesaal und den
Damensalon wieder instand. Möbelstücke wurden abgeholt, um neu bezogen zu
werden, und kehrten einige Wochen später in Mattgold und Pflaumenrot gehüllt
zurück. Charlottes Bauch wurde dicker und ein stechender Schmerz-fuhr ihr
jedes Mal, wenn sie sich erhob, durch den Rücken. Sie wandte ihre
Aufmerksamkeit dem Kinderzimmer zu, das in ein entzückendes Märchenschloss mit
Märchenszenen an den Wänden verwandelt wurde. Doch Charlotte begann, die Treppe
zu diesem Zimmer mit einem deutlichen Mangel an Begeisterung zu betrachten. Sie
ließ ein Klosett im ersten Stock des Hauses einbauen und machte sich an das
verschimmelnde, düstere Hauptschlafzimmer. Und als Alex' Schlafgemach in eine
Reihe eleganter, luftiger Gemächer mit florentinischer Tapete verwandelt worden
war, war Charlotte Percy und ihre Schwangerschaft aus tiefster Seele leid.
Es
wurde wärmer und sie und Pippa verbrachten die Nachmittage mit Spaziergängen
über die Ländereien von Downes Manor. Charlotte führte den uralten, maulfaulen
Gärtner, der das Außenpersonal beaufsichtigte, allmählich in neue Ideen über
das Gärtnern ein. Nach langem Zureden stellte er südlich vom Haus einen
luftigen Gitterpavillon auf und begann, Rosen daran hochzuziehen. Charlotte
kleidete das Innere mit hellrosa Baumwolle aus und sie, Pippa und Katy entkamen
der Nachmittagssonne, indem sie sich in den rosa Schatten zurückzogen. Nach
einer Weile bat sie den Lakaien, den Tee dorthin zu bringen, und eines Tages
blieben die drei sogar während eines kurzen Regenschauers dort. Pippa kreischte
immer wieder vergnügt auf, wenn das Wasser gegen das leichte Dach trommelte, so
dass es sich anhörte, als schlügen Hunderte von Grenadieren ihre Trommeln.
Charlotte
versuchte zum ersten Mal, eine Landschaft zu malen: die sanfte Neigung des Hügels
vom Sommerhaus zum Fluss am Grunde des Gartens. Aber es war nicht besonders
befriedigend. Sie vermisse den Kampf und die Enttäuschung, die es mit sich
brachte, Gesichter zu malen, den Kern eines Gefühls einzufangen, das in einem
Augenblick noch da und im nächsten verschwunden war.
Das
Porträt von Mall war beendet. Letztendlich hatte sie sie in einen kleinen Hof
nach draußen gesetzt. Irgendwie kam in dem fertigen Bild nicht die junge,
starke, lustige Mall, die sie hatte einfangen wollen, zum Vorschein, sondern
die todmüde, erschöpfte Mall am Ende eines harten Tages. Die Mall, die zu viel
Silber poliert und zu viel heißes Wasser
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