01 - Gnadenlos
kein einziger mehr an Bord, der sich an sein Gesicht erinnern konnte. Er sah sie an der Oberfläche, ein schwarzes Gebilde, dunkler als das Wasser, glitzernd im Widerschein der abnehmenden Mondsichel, die bald von Wolken verschlungen werden würde. Der Hubschrauberpilot setzte zuerst den Schlitten auf dem Vordeck der Skate ab, wo die Besatzung ihn verstaute. Dann wurde Kelly samt seiner Ausrüstung an einem Seil herabgelassen. Eine Minute später befand er sich im Kommandostand des U-Boots.
»Willkommen an Bord«, sagte Commander Silvio Esteves, der auf seine erste Schwimmermission gespannt war. Sein erstes Jahr als Befehlshaber war noch nicht um.
»Vielen Dank, Sir. Wie lange brauchen wir bis zum Strand?«
»Sechs Stunden, dann noch etwas mehr, bis wir die Lage für Sie geklärt haben. Kaffee? Was zu essen?«
»Wie wär's mit einem Bett, Sir?«
»In der Kabine meines Stellvertreters ist eine Koje frei. Wir werden dafür sorgen, daß Sie nicht gestört werden.« Damit erging es Kelly viel besser als den an Bord befindlichen Technikern der Nationalen Sicherheitsbehörde.
Kelly machte sich auf zur letzten wirklichen Ruhepause für die nächsten drei Tage - wenn alles nach Plan verlief. Er schlief schon, bevor das U-Boot wieder in die Tiefen des Südchinesischen Meeres abtauchte.
»Das ist interessant«, sagte der Major. Er ließ die Übersetzung auf den Tisch seines unmittelbaren Vorgesetzten fallen, ebenfalls ein Major, der aber auf der Liste der Oberstleutnants stand.
»Von diesem Ort habe ich schon gehört. Das liegt in den Händen des GRU. Ich meine, sie versuchen, es in den Griff zu kriegen, aber unsere brüderlichen sozialistischen Verbündeten sind nicht besonders kooperativ. Jetzt wissen also die Amerikaner endlich davon.«
»Lesen Sie weiter, Jurij Petrowitsch«, schlug der Mann vor. »Aha!« Er blickte auf. »Wer ist denn dieser CASSIUS genau?« Jurij war der Name schon untergekommen, in Verbindung mit einer großen Menge unbedeutender Informationen, die von zahlreichen Quellen innerhalb der amerikanischen Linken stammten.
»Glasow hat ihn erst vor kurzem endgültig für uns gewonnen.« Der Major ließ etwa eine Minute lang weitere Erklärungen folgen.
»Also gut, ich werde es ihm übergeben. Ich bin überrascht, daß Georgij Borissowitsch den Fall nicht persönlich in die Hand genommen hat.«
»Ich denke, das wird er jetzt tun, Jurij.«
Sie wußten, daß etwas im Busch war. Nordvietnam hatte unzählige Suchradare an der Küste aufgereiht. Ihr Hauptzweck bestand darin, vor Fliegerangriffen von der See her zu warnen. Die Angriffe wurden von Flugzeugträgern aus geflogen, die von einer Position aus operierten, die von den Amerikanern Yankee Station genannt wurde - bei den Nordvietnamesen aber ganz anders hieß. Häufig wurden die Suchradare gestört. Doch diesmal waren die Störungen so stark, daß die russischen Radarschirme einhellig nur noch weiße Scheiben abbildeten. Die Techniker rückten etwas näher, um besonders helle Flecken auszumachen, die im Störflimmern die wirklichen Ziele angeben würden.
»Ein Schiff!« ertönte eine Stimme im Radarzentrum. »Ein Schiff am Horizont.« Wieder einmal erwies sich das menschliche Auge als dem Radar überlegen.
Wenn sie so dumm waren, ihre Radare und Geschütze auf die Hügelkuppen zu setzen, war das nicht sein Problem. Der Geschützmeister befand sich am »Punkt l«, dem vorderen Befehlsturm, der den eindrucksvollsten Teil des Schiffsprofils bildete. Seine Augen spähten durchs Okular des weitreichenden Entfernungsmessers, in den späten 3oer Jahren entworfen und immer noch eines der besten optischen Geräte, die in den USA je hergestellt worden waren. Die Hand drehte an einem Rädchen, das nicht viel anders als die Scharfeinstellung einer Kamera funktionierte, nämlich zwei getrennte Bilder in Übereinstimmung brachte. Er stellte das Gerät auf die Radarantenne ein, deren Metallgerüst ohne den Schutz eines Tarnnetzes ein beinahe ideales Ziel bot.
»Mark!«
Der Mann von der Feuerüberwachung neben ihm schaltete das Mikrofon ein und las die Zahlen von der Scheibe ab. »Entfernung eins-fünf-zwei-fünf-null.«
In der Einsatzzentrale sechzig Meter unterhalb von Punkt l wurden mechanische Rechner mit den Daten gefüttert und gaben für die acht Geschütze des Kreuzers an, wie weit sie aufgerichtet werden mußten. Das darauf Folgende war ganz einfach. Die bereits geladenen Geschütze drehten sich mit ihren Türmen und stellten sich auf den
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