01 - Gnadenlos
Ausfüllen vorgenommen, als das Telefon klingelte.
»Ja?«
»Mein Name ist James Greer. Sie haben, glaube ich, schon einmal mit meiner Sekretärin gesprochen.«
»Ja, das stimmt. Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Ich störe Sie nur ungern, aber wir sind auf der Suche nach John Kelly. Er ist nicht zu Hause.«
»Soweit ich weiß, ist er in der Stadt, aber ich habe keine Ahnung, wo er sich aufhält.«
»Wenn Sie von ihm hören, sagen Sie ihm doch bitte, er möchte mich anrufen. Meine Nummer hat er. Hoffentlich nehmen Sie mir mein Anliegen nicht übel«, fügte er noch hinzu.
»Nein, keineswegs.« Und was soll das jetzt wieder? fragte sie sich.
Allmählich wurde es ihr zuviel. Die Polizei wollte John sprechen. Sie hatte es ihm gesagt, er sich jedoch anscheinend nicht darum gekümmert. Und nun versuchte jemand anders, ihn aufzutreiben. Warum? Da fiel ihr Blick auf die Morgenzeitung, die in der Besucherecke über den Tisch ragte. Der Bruder einer ihrer Patientinnen beschäftigte sich mit der Innenseite, so daß sie die Schlagzeile auf der unteren Hälfte der Titelseite lesen konnte: DROGENMORD IN SOMERSET.
»Für den Kerl interessiert sich anscheinend jeder«, stellte Frank Allen fest.
»Wie meinen Sie das?« Unter dem Vorwand, er wolle sich über den Stand der Untersuchung über den Schußwechsel zwischen ihm und Morello informieren, war Charon in das Revier des Western District gefahren. Allen hatte ihm erlaubt, die Aussagen der anderen Beamten und der drei Zivilzeugen durchzulesen. Da Charon großzügig auf sein Recht verzichtet hatte, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen, und die Schießerei allem Anschein nach sauber gewesen war, konnte Allen darin nichts Ungebührliches entdecken, solange es vor seinen Augen geschah.
»Nun, direkt nachdem wir aus Pittsburgh erfahren haben, daß die kleine Brown erschossen wurde, hat Em hier angerufen und sich nach ihm erkundigt. Und jetzt auch noch Sie. Wie kommt das?«
»Wir sind über seinen Namen gestolpert. Was dahintersteckt, wissen wir noch nicht, aber wir wollen ihn sicherheitshalber überprüfen. Was wissen Sie über ihn?«
»Sie haben wohl ganz vergessen, daß Sie im Urlaub sind, Mark?« wollte Allen wissen.
»Das ändert nichts daran, daß ich demnächst wieder zur Arbeit muß. Soll ich mein Gehirn im Urlaub abstellen, Frank? Oder ist mir vielleicht ein Zeitungsartikel entgangen, in dem gemeldet wird, daß die Ganoven ebenfalls eine Ruhepause eingelegt haben?«
Allen mußte ihm zustimmen. »Angesichts dieser ganzen Aufmerksamkeit könnte ich glatt auf den Gedanken kommen, daß mit dem Kerl irgendwas nicht stimmt. Ich glaube, ich habe was über ihn - ach ja, richtig, das habe ich ganz vergessen. Warten Sie mal kurz.« Allen verließ seinen Schreibtisch und ging in den Aktenraum. Charon gab vor, in den Zeugenaussagen zu lesen, bis er zurückkam. Dann landete ein dünner Pappordner in Detective Charons Schoß. »Hier.« Es handelte sich um einen Auszug aus Kellys Dienstakte, war jedoch nicht alles, wie Charon feststellte, als er die Seiten durchblätterte. Enthalten waren sein Taucherzertifikat, die Beurteilung seines Ausbilders, ein Foto und noch weitere Nebensächlichkeiten. »Er lebt auf einer Insel, habe ich gehört?«
»Ja, ich habe ihn danach gefragt. Seltsame Geschichte.
Aber warum interessiert Sie das alles?«
»Weil wir über ihn gestolpert sind. Vielleicht ist nichts dran, aber ich wollte es trotzdem mal nachprüfen. Ich habe was von einer Organisation läuten hören, die vom Wasser aus ihr Unwesen treibt.«
»Eigentlich hätte ich die Unterlagen schon längst an Em und Tom schicken müssen. Habe es total vergessen.«
Um so besser. »Ich muß sowieso in die Richtung. Soll ich sie vorbeibringen?« - »Das wäre nett.«
»Gern geschehen.«
Charon klemmte sich den Ordner unter den Arm. Zuerst fuhr er bei einer Zweigstelle der Pratt Library vorbei, wo er die Unterlagen für zehn Cents die Seite kopierte. Dann ging er in ein Fotogeschäft. Dank seiner Polizeimarke erhielt er fünf Vergrößerungen des Paßfotos in weniger als zehn Minuten. Diese ließ er im Auto, als er den Wagen vor dem Polizeipräsidium abstellte, trotzdem hielt er sich nur so lange in dem Gebäude auf, bis er einen Beamten gefunden hatte, der die Unterlagen in die Abteilung Gewaltverbrechen mitnehmen wollte. Er hätte den Ordner auch für sich behalten können, doch nach kurzer Überlegung war er zu dem Ergebnis gekommen, es sei besser, sich wie ein
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