01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
den Dienern? Könnte einer von denen etwas gegen Astwick gehabt haben?«
»Keine Ahnung. Ich bin doch erst seit gestern hier, vergessen Sie das nicht. Ich könnte mich natürlich mit dem Zimmermädchen unterhalten, das mir zugeteilt ist, wenn Sie möchten.«
»Auf jeden Fall. Fragen Sie sie nach der allgemeinen Stimmung unter den Dienstboten. Aber ich will nicht, daß Sie zu sehr nachbohren. Das überlassen wir lieber Sergeant Tring.«
In dem Moment erschien Lady Josephine, gefolgt von ihrem Mann. Alec seufzte, wie er hoffte unhörbar, und begrüßte sie.
»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich bei dieser Befragung dabei bin, nicht wahr?« fragte Sir Hugh leutselig, doch lag in seiner Stimme Entschlossenheit.
»Selbstverständlich nicht. Mit Ihnen muß ich ja auch sprechen.«
Er mußte sich keine Sorgen machen, daß Sir Hughs Gegenwart seine Frau etwa mundtot machen würde. Sie war eine korpulente Dame unbestimmten Alters. In ihrem unförmigen Tweed-Kostüm, eine prachtvolle Perlenkette um den Hals, sprudelte sie gleich hervor: »Wie schrecklich aufregend das alles doch ist, Chief Inspector! Eine fürchterliche Angelegenheit, natürlich«, fügte sie hastig hinzu. »Ach, Daisy Liebling, ich hab Sie ja fast nicht gesehen, wie Sie da hinten in der Ecke versteckt sind.«
»Ich bin Mr. Fletchers Aushilfsstenographin, Lady Josephine.«
»Was Ihr jungen Frauen heutzutage alles könnt! Sollen wir uns hierhin setzen, Mr. Fletcher? Möchten Sie sich nicht auch setzen? Es muß ja sehr ermüdend sein, den lieben langen Tag Fragen zu stellen. So, jetzt ist es schon besser.« Sie strahlte ihn an. »Also, wie können wir Ihnen behilflich sein?«
Alec merkte, daß er der Schwester des Grafen ein höchst unprofessionelles Gefühl von Sympathie entgegenbrachte. Er verstand, warum Miss Dalrymple sie einfach nicht für schuldig halten konnte, ob sie körperlich nun in der Lage sein mochte, ein Loch ins Eis zu schlagen oder nicht. »Vielleicht erzählen Sie mir erst mal, was Sie von Lord Stephen Astwick wissen, Madam«, sagte er.
»Er war ein äußerst mieser Charakter!« erklärte sie geradeheraus. »Meiner Schwägerin hat er auf die unziemlichste Weise den Hof gemacht, aber was soll man schon von einem Mann erwarten, der mit schöner Regelmäßigkeit in den skandalösesten Blättern auftaucht. Nicht, daß ich so etwas lesen würde, aber ich habe gehört, daß er mit einem Dutzend Namen in Verbindung gebracht wurde: Lady Purbright, Lady Amelia Gault, Mrs. Bassington-Cove, Gussie Warnecker ...«
»Moment mal bitte!« Drei dieser Namen waren Alec bekannt. »Miss Dalrymple, notieren Sie das auch alles, bitte?«
»Namen dauern immer ein bißchen länger, Augenblick.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, sie zu wiederholen, Lady Josephine, und etwas langsamer weiterzusprechen?«
»Ich erzähle Ihnen da nichts, was Sie nicht auch in alten Ausgaben des Tittle-Tattle nachlesen könnten«, sagte sie nervös.
»Selbstverständlich, Madam. Sie ersparen mir damit nur Zeit und Mühe. Und alles, was Sie sagen, wird selbstverständlich vertraulich behandelt.« Derartige Gerüchte ließen sich sowieso nicht als richtige Beweise verwenden, so nützlich er sie auch finden mochte.
Sie blickte Sir Hugh an, der zu Alecs Erleichterung leicht amüsiert nickte. Den Chief Inspector interessierten die Namen außerordentlich, die sie abgespult hatte, und gleichzeitig verwirrten sie ihn. Lady Josephine erinnerte sich an fünf weitere Damen, denen sie Affären mit Astwick unterstellte, ehe ihre Erinnerung versiegte.
»Da sind noch mehr, Mr. Fletcher, aber die sind mir entfallen.«
»Sie haben mir sehr geholfen, Lady Josephine. Wenn Ihnen weitere Namen einfallen, seien Sie so gut und schreiben Sie sie mir auf. Sie wissen nicht zufällig - auf Grund seines Rufs oder durch einen andernorts gemeinsam verbrachten Besuch -, ob er die Angewohnheit hatte, ähm, auch Damen der niederen Stände, ähm, seine Aufmerksamkeit zuzuwenden?
»Ob er den Zimmermädchen nachgestiegen ist, meinen Sie? Ich glaube nicht. Man könnte wohl sagen, daß er in gewisser Hinsicht auf sich hielt, obwohl das eine viel zu freundliche Bezeichnung für diesen Schuft ist. Aber bei seinen Geliebten hat er durchaus eine gewisse Kultiviertheit vorausgesetzt.«
Alec zwang sich, bei so viel erfrischender Ehrlichkeit ernst zu bleiben. »Verstehe. Eines würde ich noch gerne erfahren. Wußten Sie von Lord Stephens Angewohnheit, vor dem Frühstück Schlittschuhlaufen zu gehen, ehe er
Weitere Kostenlose Bücher