01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
möglicherweise in bezug auf Ihre Beziehung zu Astwick machen möchten.«
»Ich wüßte nicht, warum das von Bedeutung sein könnte.«
»Na ja, wenn Sie tatsächlich eine freundschaftliche Affäre mit ihm hatten, hätten Sie kein Motiv, ihn ermorden zu wollen.«
»Vermutlich haben Sie recht«, sagte sie verzweifelt. »Und wenn ich nun schon zwischen Skylla und Charibdis gefangen bin, kann ich mich ja genausogut an die Wahrheit halten. Ich war niemals seine Geliebte. Ich habe ihn verabscheut.«
Damit mußte Alec sich zufrieden geben. Lady Wentwater wollte lieber als Mörderin verdächtigt werden, denn als treulos entlarvt zu werden. Dafür bewunderte er sie.
Ihren Mann konnte er erst nach dem Mittagessen sprechen.
Alec und Piper wurde eine Pastete aus Kalbfleisch und Schinken gebracht, dazu Kaffee und Bier in Flaschen. Nach dem Mahl zündete sich Alec eine Pfeife an. Während er seine Notizen der gestrigen Unterredung mit Lord Wentwater durchschaute, faßte er den Enstschluß, sich nicht mehr aus lauter Ehrfurcht vor dem gesellschaftlichen Status des Grafen zurückzuhalten. Bestimmte Fragen mußten einfach gestellt werden. Sollte seine Lordschaft dann beschließen, sich seinetwegen beim Commissioner zu beklagen, konnte er es auch nicht ändern. Alec klopfte den Tabakrest aus seiner Pfeife in den Kaminrost, als Lord Wentwater eintrat. Hastig warf Piper seine Woodbine in das Feuer und zog sich wieder auf die Fensterbank zurück.
Als der Graf sich so gesetzt hatte, daß ihm das Licht vom Fenster auf das Gesicht schien, betrachtete Alec ihn einen Moment lang. Keine Spur des leidenschaftlichen Gefühls, das er auf Daisys Photographie gesehen hatte, war in diesen aristokratischen Zügen zu finden. Selbst seine Augen begegneten Alecs Blick mit ruhigem Ernst. Alec spürte, daß er nie weiterkommen würde, wenn er nicht endlich diese Maske der Selbst Beherrschung erschütterte. »Wie man mir sagt, haben Sie und Lady Wentwater keine getrennten Schlafzimmer«, eröffnete er das Gespräch.
»Weder ist das ein Geheimnis, noch ist es ungewöhnlich.«
Lord Wentwater schien leicht amüsiert.
»Allerdings ist auch bekannt, daß Sie mitunter in Ihrem Ankleidezimmer übernachten. Haben Sie das auch in der Nacht getan, bevor Astwicks Leiche gefunden wurde?«
»Wenn Sie ein Alibi wollen - ich habe keins«, sagte der Graf jetzt gänzlich unamüsiert. »Man sagte mir, meine Frau hätte sich an dem Abend früh zurückgezogen, und ich wollte sie nicht stören.«
»Astwick hatte sich ebenfalls früh zurückgezogen. Sie behaupten, ihrer Frau zu vertrauen, aber Sie müssen sich doch gefragt haben, warum sie keine ernsthaften Anstrengungen unternommen hat, seine Annäherungen zurückzuweisen.«
»Nicht im geringsten. Sicherlich ist Ihnen bekannt, daß meine Frau für einige Jahre eher ... das Leben einer Bohemienne geführt hat. Sie ist die Rolle einer Gastgeberin für die im Haus versammelte Gesellschaft immer noch nicht gewöhnt wollte keinesfalls einen Gast beleidigen.«
»Und das war der einzige Grund?«
»Ein hinreichender jedenfalls.« Wenn Lord Wentwater irgendeine Ahnung von der Erpressung hatte, dann verriet er das mit keinem Wimpernzucken.
»Sind Sie sich denn so sicher, daß ihr Astwicks Hartnäckigkeit unangenehm war? Ich will nicht andeuten, daß sich ihre Frau hätte verführen lassen, aber auch die ehrenhaftesten Damen verstehen einen kleinen Flirt zu genießen.«
»Ehrenhaft könnte man das dann wohl nicht mehr nennen«, sagte er kalt. »Es war vollkommen offensichtlich, daß meine Frau die Aufmerksamkeit dieses Schuftes weder ermutigt hat, noch über sie erfreut war.«
»Und warum haben Sie dann nicht eingegriffen, um sie zu beschützen?« bellte Alec.
Die Wangen des Grafen verfärbten sich leicht rosa, doch seine Stimme wurde noch kälter. »Vermutlich bin ich dazu verpflichtet, mich Ihren Nachforschungen zu stellen. Allerdings war dies eine Angelegenheit von besonderer Delikatesse, und ich bezweifle, daß Sie sie verstehen würden.«
Alec unterdrückte mühsam seine Wut. »Ich mag vielleicht den Ehrenkodex eines Gentlemans nicht verstehen, der Sie dazu verpflichtet, einen Schuft zu bewirten«, sagte er, »aber vollkommen unsensibel bin ich hoffentlich nicht. Versuchen wir es doch mal.«
»Ich hatte das Gefühl, meine Frau würde jede Einmischung meinerseits als einen Mangel an Vertrauen verstehen.« Obwohl sein sicherer Tonfall tiefe Überzeugung ausdrückte, verriet seine Wortwahl Unsicherheit.
»Das ist
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