01 - Nacht der Verzückung
Braun-, Bronze-
und Cremetönen, die perfekt zu ihrem Alter und ihrer gesellschaftlichen
Stellung, zu ihrer Figur und ihrem Teint passte, bezaubernd und elegant
zugleich aussah.
»Ich
würde lernen, mich korrekt und elegant und vielleicht auch modisch zu kleiden«,
sagte sie.
»Aber
in deinem jetzigen Ensemble bist du korrekt und elegant und modisch gekleidet,
Lily«, meinte Elizabeth. »Hellblau steht dir ausgezeichnet.«
»Du
hast alle meine Kleider ausgesucht«, erinnerte sie Lily, »bis auf mein Unterhemd
und meine Schuhe. Ich könnte das nicht selbst entscheiden - ich habe
nicht die leiseste Ahnung. Für mich war ein Kleidungsstück immer nur dazu da,
bequem und schicklich zu sein und im Winter zu wärmen oder im Sommer zu kühlen.«
»Also
gut.« Elizabeth lächelte. »Das ist Nummer drei. Und vier und fünf? Hast du
nicht den Wunsch, zu reisen oder teure Besitztümer zu erlangen?«
»Ich
bin mein ganzes Leben gereist«, sagte Lily. »Ich habe davon geträumt, lange
genug an einem Ort zu bleiben, um mich zu Hause fühlen zu können. Und
Besitztümer ...« Sie zuckte mit den Schultern. Was sollte sie sich sonst noch
wünschen, um die Liste zu vervollständigen? Sie würde Lesen und Schreiben und
Musizieren lernen. Sie würde Klavier spielen und sich gut und elegant kleiden.
Sie würde ...
»Ich
möchte gerne rechnen können«, sagte Lily. »Nicht nur mit den Fingern und im
Kopf, sondern ... oh, sondern so, wie es Mrs. Ailsham und die Gräfin in den
Haushaltsbüchern machen. Eines Morgens zeigten sie sie mir. Sie konnten beide
deuten, was dort geschrieben stand, und sie wussten anhand der Zahlen, was im
Herrenhaus geschehen war, und konnten planen, was geschehen sollte. Ich
wünschte mir so sehr, das auch zu können. Ich wünschte, ich könnte Bücher
führen und etwas so Großes und Wichtiges wie Newbury Abbey leiten.«
»Und
dein letzter Wunsch, Lily?«
»Ich
konnte immer gut mit Menschen umgehen«, sagte sie nach längerem Nachdenken.
»Mit allen Arten von Menschen, selbst mit den Offizieren, die zum Regiment
gehörten. Aber ich fühle mich nicht wohl mit Menschen aus deiner
Gesellschaftsschicht. Ich würde gern lernen ... wie ich mich zu verhalten habe,
wie man Konversation treibt. Ich möchte lernen, so zu sein, wie man es von mir
erwartet. Ich würde gern die Anstandsregeln deiner Klasse erlernen. Nicht, weil
ich danach strebte dazuzugehören, sondern weil ... oh, ich weiß nicht, warum.
Vielleicht weil ich dich bewundere. Weil ich die Gräfin respektiere.«
Elizabeth
schwieg eine Weile. »Ich bin nicht sicher, ob das fünf Wünsche sind, Lily«,
sagte sie schließlich. »Tatsächlich zeigen sie alle einen Wunsch ... das
Verlangen nach dem Wissen und der Ausbildung einer Dame. Man könnte eventuell
Malen und Handarbeiten und Tanz und die Kenntnis von Sprachen hinzufügen, aber
diese Dinge sind bestimmt in dem einen oder anderen deiner fünf Wünsche
enthalten. Malst oder tanzt du eigentlich oder kennst du außer Englisch noch
irgendwelche anderen Sprachen? Ich weiß, dass du stopfen und flicken kannst,
aber nicht sticken.«
»Ich
spreche Hindi und Spanisch«, sagte Lily. »Wir tanzten Bauerntänze. Aber gemalt
habe ich niemals.«
An
diesem Punkt wurde ihr Gespräch unterbrochen, als die Kutsche zum Pferdewechsel
auf den gepflasterten Hof eines Reisegasthauses einbog. Verblüfft stellte Lily
fest, dass ihr Verstand schon nach einer Stunde nur noch mit angenehmen Dingen
beschäftigt war. Sie hatte sich sogar beinahe wohl gefühlt. Und das hatte sie
allein Elizabeth zu verdanken, die sich vorgenommen hatte, ihre
Gesellschafterin von dem jämmerlichen Leid ihrer Trennung abzulenken.
Der
Herzog von Anburey hatte im Gasthaus einen Privatsalon reservieren lassen und
alle sechs speisten gemeinsam. Lady Wilma war völlig hingerissen von der
Aussicht, endlich nach London zu kommen, wo die Saison bereits angefangen
hatte. Ihr Gespräch drehte sich nur um Bälle und Abendgesellschaften und
Theater und Empfänge bei Hofe und Vauxhall und Almack's. Es war verwirrend für
Lily, die sich zwang, zumindest eine Kleinigkeit zu essen, und keinen Versuch
machte, sich an dem Gespräch zu beteiligen, selbst dann nicht, als Joseph
einwarf, dass die Unannehmlichkeiten ihrer Reise wahrscheinlich nichts waren im
Vergleich zu Lilys Reise über die Pyrenäenhalbinsel. Sie lächelte ihm vage zu,
denn sie erkannte, dass er, genau wie Elizabeth, nur versuchte, sie von ihrer
bleiernen Last ein wenig zu befreien.
Sie
fragte
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