01 - Nicht ohne meine Tochter
musste das Familiengeschäft verkaufen, seinen Besitz liquide machen und die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen treffen, aber er war entschlossen, zu fliehen, bevor seine Vergangenheit ihn einholte. »Ich habe viele einflussreiche Freunde in den USA.«, sagte er mir. »Sie tun für mich, was sie können.« Meine Familie und meine Freunde in Amerika taten auch für mich, was sie konnten, sagte ich ihm. Aber anscheinend konnte man durch die offiziellen Kanäle nur wenig erreichen. Hamids Telefon benutzen zu können, war eine große Hilfe. Obwohl die Informationen, die ich über die Botschaft erhiel t- oder nicht erhielt - demoralisierend waren, war es immer noch mein einziger Kontakt mit der Heimat. Hamids Freundschaft diente auch noch einem weiteren Zweck. Er war der erste, der mir zeigte, dass es viele Iraner gibt, die den westlichen Lebensstil noch zu schätzen wissen und denen sich angesichts der offiziellen Verdammung Amerikas durch das jetzige Regime die Haare sträuben.
Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass Moody nicht der allmächtige Potentat war, als der er sich in seiner Fantasie sah. Er machte kaum Fortschritte bei der Erlangung der Lizenz, um im Iran als Mediziner arbeiten zu können. In den meisten Fällen verschaffte ihm seine amerikanische Ausbildung ein gewisses Prestige, aber in den Büros des Ayatollah-Regimes stieß er damit auf Schwierigkeiten. Auch stand er auf der verzwickten Leiter der Familienhierarchie keineswegs auf der obersten Sprosse. Moody musste seinen älteren Verwandten ebenso gehorchen wie die jüngeren ihm. Er konnte sich nicht vor seinen Familienverpflichtungen drücken, und das begann, sich nun günstig für mich auszuwirken. Seine Verwandten fragten verwundert, was aus Mahtab und mir geworden war. In unseren ersten zwei Wochen im Land hatte er seine Familie überall vorgezeigt. Verschiedene Verwandte wollten uns wiedersehen, und Moody wusste, dass er uns nicht ewig verstecken konnte.
Widerstrebend nahm Moody eine Einladung zum Abendessen bei Aga Hakim an, dem Moody große Ehrerbietung schuldete. Sie waren Verwandte ersten Grades und teilten sich ihren gemeinsamen verwickelten Stammbaum. Zum Beispiel war der Sohn von Aga Hakims Schwester mit Esseys Schwester verheiratet, und die Tochter seiner Schwester war mit Esseys Bruder verheiratet. Zia Hakim, den wir am Flughafen kennengelernt hatten, war Aga Hakims Neffe ersten, zweiten oder dritten Grades. Und Khanom Hakim, seine Frau, war auch Moodys Cousine. Die Kette setzte sich endlos so fort. All diese Verwandtschaftsbeziehungen geboten Respekt, aber Aga Hakims Macht über Moody lag primär in seinem Status als Turbanmann begründet, als oberster Mullah der Masdsched von Niavaran in der Nähe des Schah-Palastes. Er lehrte außerdem an der Theologischen Hochschule von Teheran, war ein angesehener Autor islamischer Bücher und hatte zahlreiche didaktische Werke von Tagatie Hakim, seinem und Moodys Großvater, aus dem Arabischen ins Farsi übersetzt. Während der Revolution hatte er die erfolgreiche Besetzung des Schah-Palastes angeführt, eine Tat, für die sein Bild in Newsweek erschien. Und Khanom Hakim trug den stolzen Beinamen Bibi Hadschi, »Frau, die in Mekka war«. Moody konnte die Einladung der Hakims nicht ablehnen. »Du musst den schwarzen Tschador tragen.«, sagte er mir. »Ohne kannst du ihr Haus nicht betreten.«
Ihr Haus in Niavaran, einem eleganten Stadtteil im Norden Teherans, war modern und geräumig, enthielt aber fast keine Möbel. Ich freute mich über den Ausflug, ärgerte mich aber über die Kleidervorschriften und erwartete einen langweiligen Abend mit noch einem Turbanmann. Aga Hakim war schlank, einige Zentimeter größer als Moody, hatte einen dichten, melierten Bart und ein gewinnendes, immerwährendes Grinsen. Er war ganz in Schwarz gekleidet, auch sein Turban war schwarz. Das war ein wichtiges Detail, die meisten Turbanmänner trugen einen weißen. Aga Hakims schwarzer Turban zeigte an, dass er ein direkter Nachfahre Mohammeds war. Zu meiner Überrraschung war er nicht zu heilig, um mir in die Augen zu sehen, wenn er sprach.
»Warum trägst du den Tschador?«, fragte er mit Hilfe von Moodys Übersetzung. »Ich dachte, das müsste sein.« Moody waren Aga Hakims Bemerkungen wahrscheinlich peinlich, aber er übersetzte sie dennoch. »Für dich ist der Tschador ungewohnt. Tschador ist nicht islamisch, sondern persisch. In meinem Haus musst du keinen Tschador tragen.« Ich mochte ihn. Aga Hakim
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