01 Nightfall - Schwingen der Nacht
sich zu erkennen. Das bleiche Gesicht, der verschmierte Kajal um die Augen und das feuchte zerzauste Haar gehörten natürlich zu ihm, aber sein Ausdruck war kalt, distanziert und gnadenlos, während seine Augen vor Wut rot durchzogen waren.
Hat Lucien das gesehen?
Bestürzt senkte er den Kopf. Nein, der stechende Schmerz in den Schläfen reichte noch lange nicht aus. Nicht mal annähernd. Aber wie er es versprochen hatte, würde er nicht allein lichterloh brennen. Unter anderen würde auch der Voyeur in Flammen stehen. Etienne war bereits zu Asche zerfallen.
Er trocknete sich das Gesicht mit einem braunen Papierhandtuch ab, setzte die Brille wieder auf und verließ die Männertoilette.
Als er auf die Theke zuging, stieg ein vertrauter Geruch in seine Nase, Brut und Seife und noch einer: Er roch chemische Putzmittel und finstere Geheimnisse. Er ging langsamer, während er sich an ein träges Lächeln und ein Zwinkern erinnerte.
Führen Sie ihn ab. Sperren Sie ihn ein. Er wird garantiert in kürzester Zeit selig schlummern.
Was zur Hölle tun die hier? Kein Zufall. Gewiss nicht.
Dante ging an den Detectives vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Er blieb an der Theke stehen. Maria goss eine goldene Flüssigkeit in ein Gläschen.
»Sie haben fast achtzig Dollar auf dem Tresen liegen gelassen. «
»Behalten Sie zwanzig für sich«, sagte Dante und nahm das Glas, »und lassen Sie mich wissen, wann ich den Rest verbraucht habe – ja?«
»Klar, Süßer.« Sie tippte sich mit dem Finger an die Nase und sah ihn bedeutungsvoll an. Dann gab sie ihm eine Papierserviette.
Er nahm sie und hielt sie sich an die Nase. Die Serviette war rot, als er sie musterte.
»Scheiße.« Er leerte den Tequila in einem Zug. Er brannte im Hals und ließ den Blutgeschmack verschwinden. Langsam lief Schweiß über seine Schläfen.
Dante-Engel?
Für immer und ewig, Prinzessin. Für immer und ewig …
Eine ölige Stimme hinter Dante rief: »Für mich und Davis ein Abita, Liebling! Jetzt schau mal einer an! Ist die Welt nicht ein Dorf?«
Dante stellte das leere Glas auf die Theke.
»Wie läuft’s so, Rockgott? Comment ça va, eh?«
Als Maria Dantes Glas wieder füllte, sah er nach rechts. Arschloch LaRousse saß auf einem Barhocker, ein hämisches
Grinsen im Gesicht. Er hielt etwas, was verdächtig wie ein Haftbefehl aussah, in der Hand.
»Man muss echt Glück haben«, sagte er. »Wir waren gerade bei Ihnen. Aber Sie waren nicht da. Dann haben wir zufällig Ihren Wagen auf dem Parkplatz entdeckt.« Er knallte den Haftbefehl auf die Theke. »Sind Sie ganz einsam und allein hier?«
Dante hob eine Hand und winkte ab. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das erneut gefüllte Glas, das er nahm und in einem Zug leerte.
»Unreiner als die Erbsünde, dieser Junge. Kannst du mir glauben«, sagte Arschloch so laut zu seinem Kollegen, dass alle in der Gaststätte es bestimmt hören konnten. »Der ganze Dreck, den ich in seiner Jugendstrafakte entdeckt habe – Wahnsinn! Kein Wunder, dass die nicht zugänglich war.«
Dante stellte langsam das Glas ab. Er hielt sich an der Kante der Theke fest, damit seine Hände nicht zitterten. Selbst er hatte keine Ahnung, was in dieser Akte stand. Sein Gedächtnis reichte nur einige Jahre zurück, und selbst da gab es Lücken. Verdammt, er wusste nicht mal, wie alt er war.
»Mensch«, sagte Maria verärgert. »Wenn Sie ihn verhaften wollen, dann machen Sie das draußen.«
»Ein kleiner Ratschlag, Zuckerpuppe«, sagte das Arschloch mit einer betont lieblichen Stimme. »Scher dich um deinen eigenen Dreck.«
Maria musterte Dante verstohlen, während sie einen Bierkrug am Zapfhahn füllte. Er sah sie an und schüttelte den Kopf.
»Sechzig Pflegefamilien, zweimal in der Klapsmühle«, sagte LaRousse im Plauderton, wobei er klang, als müsse er jeden Moment kichern. »Begriffe wie ›Schizophrenie‹ und ›lebensgefährlich‹ kamen da drin vor. Ein verschwundenes kleines Mädchen und … ach ja, das Haus der Pflegefamilie ist samt
den Pflegeeltern abgebrannt. Das werden die Prejeans gewesen sein.«
Dante wandte LaRousse den Kopf zu. Der Detective erwiderte seinen Blick. Seine Miene war hart, und kaltes Licht schimmerte in seinen Augen.
»Sie sind ein gottverdammter Lügner«, sagte Dante. Sein hämmerndes Herz jedoch flüsterte: Vielleicht auch nicht.
»Meinst du?« Das Arschloch kam näher. »Dann würde mich nur eines interessieren: Weiß diese hübsche FBI-Tussi eigentlich, dass
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