01 Nightfall - Schwingen der Nacht
Haar zerzaust und der Atem so flach, dass sie eine Hand auf sein Herz presste, um zu prüfen, ob es noch schlug. Nach einem kurzen Augenblick spürte sie das beruhigende Klopfen an ihrer Handfläche. Sie strich mit den Fingern an dem Bondagekragen vorbei, über die Lippen zur glatten, weichen Wange.
Kein Backenbart, dachte sie. Kann nichts mit der Tatsache zu tun haben, dass er ein Nachtgeschöpf ist. Von hat einen Schnurrbart und Ronin einen Vollbart.
Heather fuhr mit der Hand über seine Brust – die Haut unter ihren Fingern fühlte sich kühl an –, bis sie seinen flachen Bauch erreichte. Sie sehnte sich nach dem Sonnenuntergang und danach, ihn mit Küssen, ihren Händen und ihrem Mund wecken zu können.
Seufzend sah Heather auf die Uhr. Vierzehn Uhr. Sie musste noch einiges erledigen. Bösewichte fangen – und zwar ohne die Hilfe oder den Segen des FBI. Eine Akte lesen – und wenn die wirklich so furchtbar war, wie Stearns angedeutet hatte? Ihr Magen verkrampfte sich, und sie schob den Gedanken beiseite. Sie kletterte über Dante, hielt aber noch einen Augenblick inne, um ihn auf die Lippen zu küssen.
»Du bist auch très beau «, murmelte sie, ehe sie ganz aufstand.
Der Boden knarrte unter ihren Füßen, als sie die Decken hochzog und Dante wieder zudeckte. Er regte sich nicht. Heather hatte den Eindruck, sich nicht sonderlich viel Mühe geben zu müssen, leise zu sein. Der Schlaf hielt ihn umfangen, ganz gleich, was geschah.
Muss schön sein, dachte sie und bahnte sich einen Weg durch die CD-Hüllen und Klamotten, die auf dem Boden verteilt waren, bis sie das angrenzende Bad erreichte.
Dort schaltete sie das Licht ein. Das Zimmer war schwarz und lavendelblau gestrichen. Zahllose Dinge lagen auf dem Bord unter dem Spiegel: Wimperntusche und Kajalstifte, schwarzer Lippenstift, eine Bürste, Zahnpasta, Seife und ein MP3-Spieler.
Zahnpasta? Waren Vampire nicht immun gegen Karies und Parodontose?
Saubere, weiche Handtücher hingen über einem Handtuchständer, während Shampoos und Pflegespülungen auf einem Regal in der Duschkabine standen, und unter den Handtüchern stand ihre Reisetasche.
Wer … dann wurde ihr klar, dass es De Noir gewesen sein musste. Die anderen lagen in tiefem Schlaf und erholten sich wie Dante während des Tages.
Sie drehte das Wasser in der Dusche an und wartete, bis es warm genug war; inzwischen betrachtete sie sich im Spiegel. Sie beäugte ihren Hals und berührte die Stelle, wo Dante sie gebissen hatte. Keine Spuren, keine gereizte Haut. Wieder loderte Feuer in ihr auf, als sie daran dachte, wie er von ihr getrunken hatte. Sie schloss die Augen.
Genug gespielt. Konzentrier dich wieder auf den Fall und darauf, am Leben zu bleiben. Denn wenn du tot bist, wer wird dann für Jay und die anderen Opfer die Stimme erheben?
Unerwartet und ungebeten unterbrach eine Antwort ihren Gedankengang: Dante. Irgendwie glaubte sie daran – von ganzem Herzen.
Heather öffnete die Augen, trat in die Duschkabine und schloss die Tür hinter sich. Während heißes Wasser auf ihren Nacken und ihre Schultern prasselte, wurde ihr bewusst, dass Dante der Fall geworden war und dass sie bei ihrem Kampf, ihn am Leben zu halten, gar nicht bemerkt hatte, dass sich die Regeln geändert hatten. Sie wusste nicht mehr, ob das Ronin-Jordan-Team
Dante töten oder ihn dazu bringen wollte, sich ihm anzuschließen.
Sie hieß Chloe, und du hast sie getötet.
Sie erschafft seit Jahren Psychopathen.
Es ist so still, wenn ich mit dir zusammen bin .
Heather drehte sich um, stützte sich mit den Händen an den nassen Kacheln ab und hob das Gesicht in den Wasserstrahl. Sie hoffte, dass das Wasser die Muskeln in ihren Schultern lockern, sie wieder freier atmen lassen und die Angst in ihren Eingeweiden wegwaschen würde.
Sie erinnerte sich auf einmal, was sie Dante in Gedanken versprochen hatte: Ich werde dich nicht im Stich lassen.
Sie schluchzte heiser auf. Eine stählerne Faust legte sich um ihr Herz. Ihre Brust schmerzte. Ihr wurde bewusst, dass sie Angst hatte – Angst vor dem, was sie in der Akte entdecken und Angst vor dem, wozu sie sich vielleicht gezwungen sehen würde.
In einem königsblauen Oberteil und einer khakifarbenen Hose ging Heather die Treppe hinunter, die Schuhe in ihrer Hand. Das Haus war still. Sie hatte das Gefühl, in einer Kirche zu sein, widerstand aber dem Bedürfnis, auf Zehenspitzen hinauszuschleichen. Dantes geflüsterte Worte kamen ihr wieder in den Sinn: Sanctus, Sanctus,
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