Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 Nightfall - Schwingen der Nacht

01 Nightfall - Schwingen der Nacht

Titel: 01 Nightfall - Schwingen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Phoenix
Vom Netzwerk:
den Raum auf Heather zu. Er blieb vor ihr stehen und fixierte stirnrunzelnd die Marke. »Ich glaube nicht …«
    »Ist das das Opfer? Rosa Baker?« Heather nickte in Richtung der Leiche.
    »Ja, das ist sie. Aber ganz im Ernst …«
    »Wo ist der Leichnam des Täters?« Heather ging um den Assistenten herum zu der Bahre. Dort blieb sie neben einem Tablett mit blutbefleckten Instrumenten stehen, das sich in der Nähe des Kopfendes befand.
    »Des Täters?«, wiederholte der junge Mann unsicher. »Äh … da müssen Sie Dr. Anzalone fragen. Aber er wurde, soweit ich weiß, schon freigegeben.«
    Heather erstarrte. Sie musste sich verhört haben. Unmöglich. Sie drehte sich um und sah den Assistenten an. Dieser erwiderte ihren Blick. Sie bemerkte seine angespannte Körperhaltung und die nervöse Art, wie er die Hände aneinanderrieb.
    »Sagten Sie gerade, man hat ihn freigegeben?«
    »Äh … ja. Eventuell wurde die Leiche bereits zu einem Bestattungsinstitut geschickt. Aus Versehen.«

    Verloren. Unauffindbar. Verschwunden. Der Assistent verlagerte sein Gewicht von einer Hüfte auf die andere. Senkte den Blick. Heather spürte, wie ein starres Lächeln ihre Lippen kräuselte. Heilige Scheiße, da ist noch mehr.
    »Sagen Sie bloß, er wurde verbrannt«, sagte Heather ausdruckslos. »Aus Versehen.«
    Ohne sie anzusehen, nickte der Mann. »Das könnte durchaus der Fall sein.«
    »Sie holen besser Dr. Anzalone.«
    Der Assistent schluckte und wandte sich ab, und die Sohlen seiner Sneakers quietschten auf dem gefliesten Boden, als er den Raum durchquerte. Er stieß die Schwingdoppeltür auf und war verschwunden.
    Heather holte mehrmals tief Luft und ließ sie dann langsam entweichen. Eine unbeschreibliche Wut verkrampfte ihre Muskeln. Sie konnte kaum mehr klar denken. Nach einer Weile betrachtete sie noch einmal die Leiche auf der Bahre. Es war eine Frau mittleren Alters mit vollschlanker Figur und aschblondem Haar, deren Augen halboffen standen und seltsam leer wirkten. Stichwunden und an Hals und Schenkeln blaue Flecken und Prellungen.
    Heathers Blick wanderte zu der Nadel, mit der der Assistent den Leichnam wieder zugenäht hatte. Dem Y-Schnitt nach zu urteilen war die Autopsie bereits beendet. Die unterbrochenen Nähte endeten kurz unter dem Nabel.
    Vor einem Tag hatte Rosa Baker noch gelebt und geatmet. Sie hatte ihr Gesicht gewaschen, ihre frische Wäsche zusammengelegt, das Mittagessen geplant, und jetzt … Heather wandte sich dem entspannten, bleichen Gesicht und den leeren Augen der Frau zu. Jetzt erinnerte nichts mehr an Rosa Baker, und ihr blieb nur ein Grab oder das Feuer.
    Hätte ich diesen Tod verhindern können?

    Nach jedem Mörder kam ein neuer, und sie würde immer wieder neben einer Metallbahre stehen, auf der ein erstochenes, erschossenes, erschlagenes oder erwürgtes Opfer lag, das sein Leben verloren hatte.
    Für manche würde ihr brutaler Tod die größte Aufmerksamkeit bedeuten, die sie je bekommen hatten. Durch ihr Sterben, weil sie Mordopfer waren, nahm man sie zum ersten Mal wahr – zumindest für einen Augenblick, bis man sie schnell wieder vergaß.
    Aber sie erinnerte sich. An jeden Einzelnen. Sie trug die Bilder dieser Menschen in ihrem Inneren mit sich herum: ein mentales Fotoalbum der Toten, ein Jahrbuch der beendeten Leben.
    Leere Versprechen. Stumme Opfer.
    Sie wünschte sich, ein Finger zu sein, der auf einen Killer wies; ein Mund, durch den die Opfer ihre letzten Worte sprechen konnten: Er war es. Er hat mich getötet.
    Heather sah zur Decke mit den hellen Neonröhren und einem Mikrofon auf, das dort baumelte. Ein Opfer war noch nicht tot. Dieser junge Mann atmete noch irgendwo in New Orleans, wo er wahrscheinlich – sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr – gerade schlief. Sie konnte das Versprechen halten, das sie Dante gegeben hatte. Doch zuerst musste sie herausfinden, warum die Sache hier so sehr nach einer Vertuschung roch.
    Sie ließ die Schultern kreisen und strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dann lief sie durch den Saal, bis sie die Transkriptionseinheit entdeckte, an die das Mikrofon angeschlossen war und die Beobachtungen und Kommentare des obduzierenden Pathologen festhielt. Sie schaltete sie ein, klickte NEUESTE EINTRÄGE an und kehrte dann zu der Bahre mit der Leiche zurück.
    Die ausdruckslose Stimme der Pathologin durchbrach die Stille.

    »Das Opfer ist eine gut genährte Weiße Mitte bis Ende vierzig …«
    Heather musterte Rosa Bakers Gesicht, während

Weitere Kostenlose Bücher