01 - So nah am Paradies
unter laufendem Wasser abzuspülen, und ging zur Spülmaschine. „Du hast für heute genug getan", sagte er zu Alana. „Warum setzt du dich nicht einfach zu deinem Vater?"
Ein Blick reichte, um sie wieder an die heftigen Worte zu erinnern, die er heute Morgen zu ihr gesagt hatte. Doch vor ihrer Familie wollte sie keine Szene, und so ging Alana lieber auf seinen Vorschlag ein.
Aus dem Wohnzimmer ertönte ein dreistimmig gesungenes Lied. „Frank wird selig sein", bemerkte Molly. „Endlich kann er wieder mit seinen Mädchen singen. Geh schon, Alana, Dorian und ich haben hier alles unter Kontrolle."
Sekunden später fielen Alanas und Maddys Stimmen mit ein. Frank begleitete sie auf dem Banjo und ging zur nächsten Nummer über. Molly summte in der Küche leise mit, während sie die Früh-stücksbar abwischte.
„Wahrscheinlich bin ich sentimental", meinte sie.
„Aber es tut meiner Seele gut, sie zu hören."
„Sie haben wirklich eine unglaubliche Familie, Mrs. O'Hara."
„Gütiger Himmel, nennen Sie mich nicht so. Sie erinnern mich sonst nur daran, dass ich viel zu alt dazu bin, um durchs Land zu ziehen und mich mit Theaterschminke vollzuschmieren. Molly, schlicht und ergreifend Molly."
Dorian verschloss die Spülmaschine und sah Molly an. Sie war entzückend mit ihren weichen Zügen und ihrem vollen, jugendlichen Mund. Auch die Falten konnten diesen Eindruck nicht mindern.
„Ich kann zu Ihnen schlecht ,Schlicht-und-ergreifend-Molly' sagen."
Ihr Lachen, tief und kräftig, war ganz das Gegenteil von ihrer Statur. „Oh, Sie sind ein Pfiffikus und können mit Worten umgehen. Ich habe Ihr letztes Buch gelesen, im Zug, das über die Schauspielerin."
„Und?"
„Sie sind ein harter Mann. Sie sind neugierig und lieben Ihren Beruf. Sie ziehen Dinge hervor, die besser im Dunkeln bleiben sollten. Aber Sie sind fair." Als sie sich umdrehte, um ihn anzusehen, bemerkte er, dass ihre Augen wie Alanas waren, tief und verletzbar. „Seien Sie auch fair zu meinem Mädchen, Dorian. Das ist alles, was ich will. Sie ist stark. Manchmal ist es mir direkt unheimlich, wie stark. Und wenn sie verletzt wird, dann bittet sie nicht um Hilfe, sondern verbindet sich selbst ihre Wunden. Ich will nicht, dass sie noch einmal welche verbinden muss."
„Ich bin nicht hier, um sie zu verletzen."
„Aber Sie könnten sie unbeabsichtigt am Ende doch verletzen." Sie seufzte ein wenig. „Können Sie singen?", fragte sie dann ganz abrupt.
Überrascht starrte er sie einen Augenblick an, dann lachte er. „Nein."
„Dann wird es Zeit, dass Sie es lernen." Und sie nahm ihn beim Arm und führte ihn hinaus zu den anderen.
Es war nach Mitternacht, als das Haus zur Ruhe kam. Maddy und Carrie reden und lachen jetzt bestimmt noch in ihrem Zimmer, das sie sich teilen müssen, dachte Alana. Ihre Eltern schliefen wohl schon so bequem in diesem fremden Bett, wie sie es schon in hundert anderen fremden Betten getan hatten. Alana selbst war unruhig, zu unruhig, um schlafen zu können oder ihren Schwestern Gesell schaft zu leisten. Stattdessen schlüpfte sie in eine Jacke und ging hinüber in den Stall.
Das Fohlen schlief, zufrieden im Heu ausgestreckt und von seiner Mutter bewacht. Alana streichelte die andere trächtige Stute und hoffte, sich selbst wie auch das Tier zu beruhigen.
„Du brauchst Schlaf."
Alanas Finger verkrampften sich in der Mähne der Stute, dann entspannten sie sich langsam, bevor sie sich zu Dorian umdrehte. „Ich habe dich nicht hereinkommen hören. Ich dachte, alle seien schon im Bett."
„Das solltest du auch sein. Du siehst müde aus."
Er kam näher. „Ich habe gesehen, wie du aus dem Haus gegangen bist. Ich stand gerade am Fenster."
„Ich wollte nach Gladys sehen." Alana schmiegte die Wange an die Stute. Der Streit von heute Morgen schien so weit weg. „Mit meiner Familie hier wird es für uns in den nächsten Tagen ein wenig schwierig werden, zusammenzuarbeiten."
„Ich habe für die nächste Zeit genug Material zum Arbeiten. Alana ..." Er wollte sie. Er wollte sie an sich ziehen und sich vormachen, dass alles so einfach sei, wie im Wohnzimmer zusammenzusitzen und zu singen. Er wollte ihr die Art von bedingungslosem Beistand anbieten, wie ihre Familie es tat. Und doch schien eine Mauer zwischen ihnen aufgerichtet zu sein. „Ich möchte mit dir über heute Morgen sprechen."
Sie hatte gewusst, dass er das wollte. Sie fuhr damit fort, Gladys zu streicheln. „Gut", sagte sie dann. „Möchtest du
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