01 - So nah am Paradies
Zischen. „Dieser Junge. Kein Sinn für Verantwortung, kein Ehrgeiz. Ich verstehe gar nicht, wie ich zu einem so unfähigen Sohn kommen konnte. Dabei hat er Talent." Er schlug mit der Faust auf die Platte. „Ich habe ihm alles beigebracht, was ich kann. Aber seit zehn Jahren ist er nicht ein einziges Mal durch einen Bühnen-eingang getreten."
„Habe ich schon erzählt, dass Chris in der Schule in der Weihnachtsgeschichte mitgespielt hat?"
Alana wusste, wie sie ihren Vater beruhigen und ablenken konnte. „Er spielte ein Schaf."
Erst jetzt bemerkte sie, dass Dorian sich abseits hielt und die Szene aufmerksam beobachtete -
etwas, das er gut konnte. Sie wusste nicht, ob sein Lächeln amüsiert oder geringschätzig war.
„Kaffee?", fragte sie ihn. Er nickte nur.
„Dorian, Junge." Frank erinnerte sich wieder an seinen Zuschauer. „Kommen Sie, setzen Sie sich.
Ich will Ihnen aus der Zeit erzählen, als wir im Radio aufgetreten sind."
Carrie gab sich keine Mühe, ein Aufstöhnen zu unterdrücken, was ihr einen Verweis ihres Vaters einbrachte. „Etwas Respekt, bitte."
„Frank, Dorian mag am Showgeschäft nicht interessiert sein."
Entgeistert sah Frank seine Frau an. „Es gibt keinen Menschen, der nicht am Showgeschäft interessiert ist." Er schaufelte zwei gehäufte Löffel Zucker in seinen Kaffee, zögerte kurz und ließ dann noch einen dritten folgen. „Außerdem, der Mann ist Schriftsteller. Also hört er gern eine Geschichte."
„Geschichte stimmt." Carrie küsste ihren Vater laut auf die Wange. „Sogar eine unglaubliche Geschichte."
Frank hob das Kinn. „Setzen Sie sich, Dorian.
Achten Sie nicht auf die Familie. Ich habe ihnen Tanzen, aber nie Manieren beibringen können."
Frank erzählte seine Geschichte, immer wieder von Bemerkungen seiner drei Töchter und einem gelegentlichen Auflachen seiner Frau unterbrochen.
Dorian wusste nicht, ob es sich um Tatsachen oder Einbildung handelte, aber auf alle Fälle glaubte Frank O'Hara selbst jedes Wort.
Alana entspannte sich, je mehr sie wieder Teil dieser seltsamen Mischung von Menschen wurde, die ihre Familie waren. Obwohl den anderen so unähnlich, passte sie doch zu ihnen wie ein Teil in einem komplizierten Puzzle.
Dorian mochte die O'Haras. Sie waren laut, fielen einander ins Wort, widersprachen dem anderen und lachten über sich. Jeder von ihnen hatte die Angewohnheit, sich jeweils für einen Augenblick ins Rampenlicht zu stellen. Ihre Geschichten waren übertrieben und dramatisch - doch sicher nicht ohne einen Kern von Wahrheit. Dorian ertappte sich dabei, wie er sich im Kopf gleichsam Notizen machte. Die O'Haras, jeder von ihnen einzeln und alle zusammen als Gruppe, würden den Stoff für ein fantastisches Buch abgeben!
Als die Jungen nach Hause kamen, brach ein fröhliches Chaos aus. Einem flüchtigen Beobachter hätte es erscheinen können, als würden die O'Haras nur die Aufmerksamkeit von neuen Zuhörern auf sich ziehen wollen. Doch Dorian blickte tiefer und erkannte ihre ihnen eigene Lust am lärmenden Durcheinander und ihre Liebe füreinander. Ben und Chris gehörten zu Alana, also gehörten sie auch zu ihnen.
Es gab erstaunte Ausrufe, Umarmungen und Geschenke. Viele Kinder hätten sich von dieser unerwarteten Aufmerksamkeit überrollt gefühlt.
Doch nach Dorians Beobachtung konnten Ben und Chris die liebevolle Sturzflut problemlos über sich ergehen lassen. Obwohl die Jungen ihre Großeltern und Tanten selten sahen, zeigte keiner von ihnen linkische Verlegenheit.
Irgendwann kletterte Chris ganz
selbstverständlich auf Dorians Schoß und bombardierte ihn mit Geschichten seines heutigen Schultages. Und ganz automatisch legte Dorian einen Arm um den Jungen,
damit er nicht herunterfallen konnte. So saßen sie gut eine Stunde zusammen. Das Feuer knisterte wärmend im Kamin, der Duft des Kaffees hing in der Luft, und die Küche war erfüllt von fröhlichen Stimmen.
Sobald Alana mit den Vorbereitungen fürs Essen begann, stand Frank von seinem Platz auf. Er nahm beide Enkel an die Hand und forderte sie auf, mit ihm hochzugehen, um ihm ihr Spielzeug zu zeigen.
Kopfschüttelnd sah Maddy ihnen nach. „Schnell auf den Beinen - wie eh und je."
„Das Nette an eurem Vater ist, dass er Kochen ebenso wenig als Frauenarbeit betrachtet, wie er Reifenwechsel als Männerarbeit betrachtet." Molly lächelte. „Er betrachtet beides als Arbeit - und geht ihr unter allen Umständen aus dem Weg. Was kann ich tun, Liebes?"
„Nichts. Es gibt
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