010 - Skandal in Waverly Hall
keuchte, und ihre Knie wurden weich. Anne mußte das Mädchen zu einem Stuhl führen, damit es sich setzen konnte.
Sie drehte der zerrissenen Wolldecke den Rücken zu und war vor Angst ganz steif.
„Meine Güte", flüsterte Belle. „Wer könnte so etwas tun? Weshalb beobachtet er Sie? Was hat er vor? O nein, wir brauchen Hilfe. Wir müssen sofort zu Seiner Lordschaft gehen."
„Nein", rief Anne und zwang sich zur Ruhe. „Nein!"
Belle sah sie mit offenem Mund an.
Anne holte tief Luft und betrachtete die zerrissene Wolldecke erneut, die jetzt auf dem Boden lag.
Jemand beobachtete sie. Er war ihr von Waverly Hall nach Schottland gefolgt und hielt sich jetzt in London auf.
Wer es auch war, er hatte Zutritt zu ihrem Schlafzimmer in Rutherford House. Er hatte auch Zutritt zu ihren Räumen in Waverly Hall und Tavalon Castle gehabt.
Plötzlich kam Anne der Gedanke, daß der Reiter, der ihr im Gebirge gefolgt war, auch Dominick hätte sein können. Vielleicht hatte sie seinen Wallach mit einem Kastanienbraunen verwechselt.
Die Beine versagten ihr den Dienst. Belle mußte sie stützen und zu einem kleinen Sofa führen. Mit tränenfeuchten Augen wandte sie sich an die französische Zofe.
„Sag mir die Wahrheit, Belle. Glaubst du, daß Lord Waverly mir angst machen will?
Daß er es ist, der mir schaden möchte?"
Belle antwortete nicht.
Anne schloß mutlos die Augen.
„Werden Sie ihn um einen Tanz bitten?"
Felicity drehte sich stirnrunzelnd um. Sie hatte Blakes tiefe wohlklingende Stimme sofort erkannt. „Sie schon wieder. Ich wußte nicht einmal, daß Sie hier sind", log sie.
In Wirklichkeit hatte sie ihn entdeckt, sobald er Lord Heath' Stadthaus in Mayfair betrat. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden."
Er sah sie belustigt an. „Lügnerin. Sie haben mich schon vor einer Stunde bemerkt - ebenso wie ich Sie." Sein Blick blieb an ihrer vollen Unterlippe haften.
Felicity zuckte achtlos mit den Schultern. Sie drehte ihm den Rücken zu und beobachtete Dominick weiter. Er war von einigen Paaren umringt. Die Frauen trugen elegante Roben in leuchtenden Farben und kostbares Geschmeide. Die Männer waren im Abendanzug.
Dominick wirkte ein bißchen gelangweilt. Er war sehr ernst und förmlich. Die Männer bemühten sich eifrig, ihn in ihre Unterhaltung einzubeziehen, und die Damen warfen ihm verstohlene Blicke unter ihren dichten Wimpern zu. Felicity wunderte sich, daß Anne nicht bei ihm war.
„Sie sind schon wieder hinter ihm her?" flüsterte Blake, und sein Atem strich über ihren bloßen Nacken.
Energisch klappte Felicity ihren Fächer zu. Obwohl sie Blake verabscheute und ihr seine Anspielungen mißfielen, errötete sie angesichts seiner Nähe, und ihr wurde ganz warm. „Ich würde eher sagen, Sie sind hinter mir her."
Er lachte, trat an ihre Seite und blickte verstohlen auf ihren Busen, den das großzügige Dekollete kaum verhüllte. „Das leugne ich nicht."
Sie sah ihn wütend an. „Stellen Sie jemand anderem nach, Lord Blake. Ich bin nicht interessiert."
Lächelnd verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte die Schulter an eine Marmorsäule. Seine blauen Augen blitzten vergnügt. „Wem wollen Sie etwas vormachen? Mir -oder sich selber?"
„Es ist mir egal, was Sie denken - oder glauben", fuhr sie ihn an. „Ich möchte nur, daß Sie aufhören, mir überallhin zu folgen."
„Geben Sie es ruhig zu, meine Liebe. Ihnen gefällt es ebenso wie mir. Ich wage sogar zu behaupten, daß Sie es ausgesprochen genießen, so hartnäckig verfolgt zu werden."
„Sie arroganter Kerl."
Er lachte leise. „Ich wette, daß Sie genausogut fluchen können wie ein Mann."
„Idiot", zischte sie.
„Das war schon besser."
Aus dem Augenwinkel bemerkte Felicity, daß Dominick die Gruppe verließ, die ihn umringt hatte, und auf sie zukam. Sofort richtete sie sich auf, schob aufreizend ihren Busen vor und setzte ein hinreißendes Lächeln auf.
Im selben Moment packte Blake ihren Arm und zog sie fest an seine Hüfte. „Sagen Sie mir eines: Was wollen Sie wirklich? Dominick verführen - oder Anne weh tun?"
Felicity drehte sich zu ihm und wollte ihm ins Gesicht schlagen. Sie hatte längst vergessen, daß sie in einem Salon inmitten zahlreicher Gäste standen.
Blake fing ihre Hand nicht gerade sanft ab. „Ich glaube, einmal war genug."
„Wie können Sie es wagen, derart mit mir zu reden?" Tränen traten Felicity in die Augen. Nicht Tränen der Scham, sondern der Wut.
„Bei Ihrem Verhalten hätten Sie
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