010 - Skandal in Waverly Hall
nicht vorstellen, daß er all die Zeit nur auf den richtigen Moment gewartet hatte, sich ihrer zu entledigen -auf eine Gelegenheit, die ihren Tod wie einen verhängnisvol-len Unfall hätte aussehen lassen.
Patrick war sicher, daß Dominick sie töten wollte, um seine ungeliebte Ehefrau loszuwerden. Er hatte ihr klargemacht, daß ihr Mann nichts davon hätte, wenn er sie nur verängstigte oder verletzte. Dagegen würde er alles gewinnen, wenn sie bei einem fatalen Unfall ums Leben käme. Er hätte seine Freiheit wieder und bekäme obendrein Waverly Hall zurück.
Anne war keineswegs überzeugt. Sie vergötterte Dominick seit mehr als zehn Jahren. Sie hatte ihn auch die letzten vier Jahre bedingungslos geliebt und liebte ihn vielleicht immer noch. Die Vorstellung, daß er sie verführt hatte, um Waverly Hall zurückzubekommen, war schlimm genug. Doch sie konnte und wollte nicht glauben, daß er eines Mordes fähig wäre. Nein, niemals. Patrick mußte sich irren.
Trotzdem waren Annes Nerven aufs höchste gespannt. Eines ließ sich nicht leugnen: Niemand hatte leichter Zutritt zu ihrem Zimmer und ihren Sachen als Dominick St. Georges.
Anne betrat den grün-gold eingerichteten, eleganten Salon. Sie lächelte gequält, als der Herzog sie begrüßte und auf die Wange küßte. Seine Miene wurde ernst. „Du siehst blaß aus, Anne. Ist dir nicht wohl?"
„Nein, es geht mir gut." Sie entdeckte Dominick, und ihr Herz hämmerte plötzlich wie wild. Er sah phantastisch aus. Der schwarze Frackrock und das blütenweißes Hemd bildeten einen markanten Kontrast zu seiner gebräunten Haut und seinem goldschimmernden Haar. Er trug eine blau-silberne Brokatweste und eine elegant geschlungene Krawatte. Er war groß, elegant und verwirrend gutaussehend. Und er blickte unablässig zu ihr hinüber.
Anne wandte sich ab. Dominick war zu einer Täuschung imstande, aber nicht zu einem Mord. Das war ihr tief im Herzen klar.
„Anne?"
Plötzlich stand er dicht neben ihr. „D... Dominick! Ich hatte dich nicht kommen hören."
„Du hast mich doch fest angesehen. Noch ein kleines Lächeln, und ich hätte es als Einladung betrachtet." Sein Blick glitt träge über ihr Gesicht und blieb an ihren Lippen haften.
Anne merkte plötzlich, daß sie ebenfalls auf seinen Mund starrte, und sah rasch zu dem grünen Marmorsims hinter seiner Schulter.
„Was mag dir gerade durch den Kopf gegangen sein, daß du so in Gedanken verloren warst?" fragte er leise.
Anne schluckte trocken und verzog keine Miene. Seine Stimme klang viel zu verführerisch für ihren Seelenfrieden. Nein, das bildete sie sich gewiß nur ein.
Dominick konnte sie unmöglich begehren nach allem, was zwischen ihnen geschehen war. „Das geht dich nichts an."
„Das glaube ich doch."
Sie begegnete seinem kühnen Blick. „Es würde dir nicht gefallen."
„Aha, du hast also an mich gedacht."
„Meine Gedanken waren nicht gerade schmeichelhaft", erklärte sie und wurde langsam wütend. „Hör endlich auf."
„Darf ich nicht einmal mit dir flirten?"
Sie errötete ein wenig. „Nein, das darfst du nicht."
Seine Miene verfinsterte sich. „Wir haben uns doch darauf geeinigt, höflich miteinander umzugehen, nicht wahr?"
Anne wußte nicht, was sie sagen sollte. „Ja, das haben wir."
„Dann werde ich mit dir flirten, wenn mir danach zumute ist. Vielleicht wirst du dich mit der Zeit sogar daran gewöhnen und es genießen." Er reichte ihr den Arm. „Darf ich bitten?"
Anne holte tief Luft. Wie sollte sie diese Vereinbarung auf Dauer ertragen? Ihre Gefühle für Dominick waren alles andere als höflich. Ein Zusammenleben unter solchen Umständen würde furchtbar schmerzlich für sie sein.
Dominick sah sie fragend an. „Anne?"
Zögernd legte sie die Hand in seine Armbeuge. Patricks entsetzlicher Verdacht kam ihr wieder in den Sinn.
Dominick drückte sie eng an seine Seite, und sie vergaß die Unterhaltung mit dem Vetter auf der Stelle. Als sie den Salon verließ, war sie sich jedes Zentimeters des schlanken Körpers bewußt, der sich an sie preßte. Sie spürte Dominicks Muskeln, die vor Anspannung bebten. Das war seine Antwort auf ihre Reaktion.
Zwei Lakaien räumten das Eßgeschirr ab. Caldwell schenkte den beiden Männern einen Brandy ein und sah Anne fragend an. „Einen Sherry, Madam?"
„Nein, danke." Anne saß steif wie ein Brett da. Das Dinner war ziemlich schweigsam und in einer gespannten Stimmung verlaufen. Der Herzog hatte versucht, Konversation zu machen. Doch
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