010 - Skandal in Waverly Hall
sich die Getränke befanden, war verschlossen, aber Dominick wußte, wo sich der Schlüssel befand. Er schenkte dem jungen Mann einen großen Whisky ein und reichte ihm das Glas. Fairhaven trank einige Schlucke.
Dominick gab ihm ein Zeichen, sich zu setzen. „Was kann ich für Sie tun?" fragte er.
Fairhaven schüttelte den Kopf und bekam keinen Ton heraus. Er betrachtete ihn so eindringlich, daß Dominick unbehaglich wurde. Endlich stellte der junge Mann sein Glas ab. „Ich wollte der Familie nur meine Anteilnahme an dem tragischen Verlust aussprechen. Philip war viel zu jung, um schon zu sterben."
Dominick nahm ebenfalls Platz und sah den jungen Mann an. „Hat mein Vater Sie ebenfalls geliebt?" fragte er.
Fairhaven schloß die Augen. „Ich nehme es an. Philip war ein sehr zurückhaltender Mensch. Sie wissen zweifellos, daß er seine Gefühle nicht offen zeigte und seine Gedanken nicht aussprach."
Dominick nickte.
„Er hat mir nie gesagt, daß er mich liebt. Aber sein Verhalten ließ darauf schließen, daß er mich zumindest sehr mochte. Er wußte, daß es bei mir Liebe war", fügte Fairhaven hinzu.
Dominick tat der junge Mann leid. „Nun, immerhin hat er Ihnen jeden Penny hinterlassen, den er besaß." Hatte Philip es getan, um Fairhaven zu trösten oder um Ciarisse und seinen Sohn zu ärgern?
Fairhaven errötete. „Mir liegt nichts am Geld."
Dominick betrachtete ihn prüfend und merkte, daß Fairhaven nicht die Wahrheit sprach. Der junge Mann hatte von dem Testament gewußt. Vielleicht hatte er sogar einen Anteil von Philips Vermögen verlangt. Fairhaven mied seinen Blick, und die Stille wurde immer peinlicher.
Dominick überlegte, was Fairhaven sonst noch wußte. War er nach Rutherford House gekommen, um ihn zu erpressen?
„Wie geht es Lady Waverly, Ihrer Mutter?" fragte Fairhaven endlich.
„So gut, wie man es unter den gegebenen Umständen erwarten kann."
Fairhaven schluckte trocken. „Es tut mir leid. Ich habe Ihre Mutter einmal gesehen.
Sie ist sehr schön und sehr ele-
gant. Trotzdem verstehe ich, daß Philip nichts als Verachtung für sie empfand. Er hatte durchaus Veranlassung dazu."
Sie sahen sich eindringlich an. Dominick wurde langsam nervös und zwang sich zu einem Lächeln. „Damit wären wir also beim eigentlichen Grund für Ihren Besuch."
Fairhaven rutschte unbehaglich hin und her „Haben Sie Philips Tagebuch gelesen?"
„Nein", log Dominick ungerührt. „Sie?"
Fairhaven wurde blaß. „J... ja."
Dominick stemmte die Hände auf die Annlehnen und stand auf. „Weshalb sprechen Sie es nicht aus, wenn Sie mir etwas zu sagen haben, Fairhaven?"
Der junge Mann erhob sich ebenfalls. „Philip sagte, daß Sie es nicht wüßten; daß Sie keine Ahnung hätten."
Dominick verzog keine Miene. Allerdings fürchtete er, daß seine Augen ihn verrieten. Er war furchtbar wütend und hatte insgeheim sogar Angst. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."
Fairhaven ließ sich nicht beirren. „Sie haben sicher gemerkt, daß Philip Sie verabscheute - und daß er auch seine Frau verabscheute."
„So, tat er das?"
Fairhaven feuchtete seine Lippen an. „Wo ist das Tagebuch jetzt?"
„Es ist weg."
„Weg?"
„Ja, verbrannt", sagte Dominick ohne die geringste Regung in der Stimme.
Fairhaven sah ihn verständnislos an.
„Was wollen Sie mir wirklich sagen?" fragte Dominick kühl.
„Ich ... Möchten Sie nicht wissen, weshalb Philip Ihre Mutter verabscheute - und Sie?"
„Nicht unbedingt", log Dominick. Eine Schweißperle rann seine linke Wange hinab.
„Sie ... sie hat ihn betrogen. Mit einem anderen Mann", erklärte Fairhaven. „Das hat er ihr nie verziehen."
„Meine Mutter war gewiß nicht die erste verheiratete Frau, die sich einen Liebhaber nahm."
Fairhaven ließ ihn nicht aus den Augen. Sein Gesicht war leichenblaß.
„Haben Sie geglaubt, ich ließe mich erpressen?" fragte Dominick verächtlich. „Meinen Sie, die Welt würde sich für einen weiteren Ehebruch interessieren, wo es unzählige Fälle wie diesen in der feinen Gesellschaft gibt?"
„Sie wird sich durchaus dafür interessieren, wenn das Verhältnis nicht ohne Folgen geblieben ist", antwortete Fairhaven heiser.
Dominick straffte sich innerlich.
„Sie horcht sofort auf, wenn es um Fragen der Vaterschaft und..." Fairhaven zögerte einen Moment, „der Erbfolge geht."
Einen Moment hatte Dominick das Gefühl, der Boden würde unter ihm versinken.
Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Fairhaven war ängstlich
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